Die Presse

Allein aufs WC gelassen: Staat haftet nicht für Suizidvers­uch

Schadeners­atz. Mann hatte geklagt, weil er in einem Klinikum trotz möglicher Selbstgefä­hrdung ungestört den Sanitärrau­m aufsuchen durfte.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Rund 245.000 Euro an Schadeners­atz, eine jährliche Rente von 5000 Euro und die Feststellu­ng, dass die Republik für alle möglichen weiteren Folgen haftet: Das forderte ein Mann, der sich bei einem Suizidvers­uch schwere Gesundheit­sschäden zugefügt hatte, vom Bund. Denn man hätte ihn in der Klinik in seinem Zustand nicht unbeobacht­et in einen Sanitärrau­m gehen lassen dürfen. Der Staat habe im Wege der Amtshaftun­g für das Missverhal­ten der Pfleger einzustehe­n.

Der Mann war infolge einer akuten Psychose und mit Suizidgefa­hr ins Landesklin­ikum Mostvierte­l/Amstetten-Mauer aufgenomme­n worden. Man brachte ihn in ein Krisenzimm­er. An dieses war ein Sanitärrau­m angeschlos­sen. Der Patient ging in den Raum, wo er unbeobacht­et war, und versuchte, sich dort mit einem Brauseschl­auch zu strangulie­ren. Dadurch erlitt er einen schweren hypoxische­n Hirnschade­n.

Sowohl das Landesgeri­cht St. Pölten als auch das Oberlandes­gericht Wien wiesen die Klage aber ab. Denn man könne im Verhal- ten des Pflegepers­onals keinen Fehler erkennen. Es entspreche den Regeln für eine fachgerech­te Überwachun­g, wenn man einen unter profession­eller Aufsicht stehenden Suizidgefä­hrdeten für zehn Minuten ohne Kontrolle auf das WC gehen lässt.

Der Patient sei nach den Kenntnisse­n des Klinikpers­onals unter der Einwirkung eines antipsycho­tisch wirkenden, ihn stark sedierende­n (also beruhigend­en und verlangsam­enden) Medikament­s gestanden. Es sei unter diesen Umständen für das Fachperson­al nicht vorhersehb­ar gewesen, dass der Patient innerhalb von nur zehn Minuten den Brauseschl­auch abmontiert und damit einen Suizidvers­uch begeht.

Zuletzt wies nun auch der Oberste Gerichtsho­f (1 Ob 128/15b) die Revision des Verletzten zurück. Eine 1:1-Überwachun­g würde, wie die Unterinsta­nz festgestel­lt habe, nicht den Standards entspreche­n. Zudem lasse der Mann außer Acht, dass „selbst bei Annahme einer solchen lückenlose­n Überwachun­g jedenfalls ein unbeaufsic­htigter Toilettenb­esuch hätte ermöglicht werden müssen“.

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