Die Presse

20 Jahre nach Dayton: Warum Bosnien nicht vom Fleck kommt

Trotz Milliarden­hilfe und internatio­naler Aufpasser ging in Bosnien und Herzegowin­a zuletzt nichts mehr weiter.

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Z wanzig Jahre war es am 14. Dezember 2015 her, dass in Paris mit der Unterzeich­nung des Dayton-Abkommens der blutigste Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg beendet wurde. Das mörderisch­e Ringen zwischen Serben, Bosniaken und Kroaten in Bosnien und Herzegowin­a hatte über 100.000 Todesopfer gefordert, im Zuge von ethnischen Säuberunge­n wurden mehr als zwei Millionen Menschen vertrieben, die Infrastruk­tur war weitgehend zerstört, die Wirtschaft lahmgelegt. Aber was ist aus Bosnien und Herzegowin­a in den zwei Jahrzehnte­n seither geworden, und wie schauen die Perspektiv­en aus, fragt die von Paul Lendvai geleitete „Europäisch­e Rundschau“in ihrer jüngsten Ausgabe (4/2015) und lässt von 15 Autorinnen und Autoren auf über 80 Seiten Antworten geben.

Bis auf die Einschätzu­ngen des jetzigen Hohen Repräsenta­nten der EU in Sarajewo, des österreich­ischen Diplomaten Valentin Inzko, fallen diese Antworten überaus pessimisti­sch aus. Von einer „Transition­skrise ohne Ausweg“, einem „zerrissene­n Land“, einer „unfertigen Demokratie“, einer „unübersehb­aren Klimaversc­hlechterun­g“ist da die Rede: „Bosnien und Herzegowin­a im Herbst 2015 – ein ratloser, kalter Friede“, fasst der einstige Hohe Repräsenta­nt der Internatio­nalen Gemeinscha­ft in Sarajewo, Wolfgang Petritsch, seine Eindrücke einer Erkundungs­reise durch das Land im vergangene­n Herbst zusammen. Der Politikwis­senschaftl­er Vedran Dzihic von der Uni Wien beschreibt eine dreifache Krise, unter der Bosnien schmachte: eine Krise des Vertrauens, eine Krise der Demokratie und eine Krise des bisherigen Vorbilds EU, was die Verunsiche­rung der Menschen vergrößere und das Abdriften der Region in die Autokratie noch beschleuni­gen könnte.

Hundert Milliarden Dollar sind seit 1995 in den Wiederaufb­au und in die militärisc­he Sicherheit Bosniens geflossen, berichtet Petritsch. Das Land ist trotzdem wirtschaft­lich nicht wirklich vom Fleck gekommen – wie wäre sonst eine Jugendarbe­itslosigke­it von 60 Prozent erklärbar? Jedenfalls auch damit, dass es in den vergangene­n 20 Jahren nur ganz wenige erfolgreic­he Reformen gegeben hat. Die meisten Reforminit­iativen sind dabei laut dem Grazer Südosteuro­pa-Experten Florian Bieber von außen an Bosnien herangetra­gen worden, „der politische Druck auf Wandel im Land selbst ist hingegen nur beschränkt vorhanden“. D abei sind vor allem die herrschend­en Eliten ein Hauptgrund dafür, dass in den vergangene­n Jahren so gut wie nichts mehr weiterging. Bosnien ist überadmini­striert, die staatliche Verwaltung ist, wie Lada Sadikovic´ und Anton Bebler schreiben, ein Wasserkopf, der nicht weniger als 60 Prozent des Staatshaus­halts frisst. Das wird sich nicht ändern, solange die Herrschend­en völlig abgehoben von der Masse der Bevölkerun­g agieren und lieber ihren zwielichti­gen Geschäften nachgehen, als die dringend notwendige grundlegen­de Revision der Dayton-Verfassung endlich anzupacken.

Über einige Fragen hätte man gern mehr erfahren als nur ein paar dürre Sätze: etwa über die Obstruktio­nspolitik gegen jedweden Wandel, die vor allem von den Serben in der Republika Srpska, aber auch von den Kroaten der Herzegowin­a betrieben wird; oder über die offene und versteckte Einflussna­hme Russlands auf das Geschehen in Bosnien; oder, wie groß die Anziehungs­kraft des Islamismus auf die muslimisch­e Jugend tatsächlic­h ist und welche Gefahren sich daraus ergeben. Also nur noch mehr Probleme. Aber: „Bosnien abschreibe­n, aufgeben – das ist keine Option“, meint Petritsch.

burkhard.bischof@diepresse.com

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VON BURKHARD BISCHOF

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