Die Presse

Brüssel droht Warschau mit Verfahren

Mediengese­tz. Nach der Verabschie­dung der umstritten­en Medienrefo­rm will die EU-Kommission über den Rechtsstaa­t in Polen diskutiere­n und das Land notfalls unter Aufsicht stellen.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL FLÜCKIGER

Die EU will Polen wegen des umstritten­en Mediengese­tzes „unter Aufsicht“stellen.

Warschau. „Wer nicht hüpft, ist für Duda“, skandierte­n in der westpolnis­chen Wirtschaft­smetropole Poznan´ 2000 Demonstran­ten. Aufgerufen von der lokalen Bürgerakti­on Wächter der Demokratie protestier­ten sie am Wochenende gegen den rechtsnati­onalen Staatspräs­identen Andrzej Duda, der jedes noch so umstritten­e Gesetz unterschre­ibt, das sich Polens graue Eminenz Jarosław Kaczyn´ski wünscht.

Nun allerdings scheint der Chef der polnischen Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) zu weit gegangen zu sein. Nachdem das von seiner Partei kontrollie­rte Parlament am Silvestera­bend ein äußerst umstritten­es neues Mediengese­tz durchgewin­kt hat, will der für die Pressefrei­heit zuständige EU-Kommissar, Günther Oettinger, die Notbremse ziehen.

„Es spricht vieles dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaa­tsmechanis­mus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen“, sagte Oettinger der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“. Der Fall Polen soll nun bei der Kommission­ssitzung am 13. Jänner diskutiert werden. Am Ende könnte der Regierung in Warschau der Entzug von Stimmrecht­en auf EU-Ebene drohen.

Unter PiS-Kontrolle

Zuvor hatte am Wochenende bereits der EVP-Fraktionsc­hef im Europaparl­ament, Manfred Weber, der PiS-Regierung vorgeworfe­n, sie stelle „zentrale europäisch­e Prinzipien und Werte zur Debatte“.

Polens neues Mediengese­tz sieht die sofortige Säuberung der Chefetagen sowie die Umwandlung des bisher öffentlich-rechtliche­n polnischen Radios und Fernsehens in „nationale Kulturinst­itute“vor. Die Intendante­n werden demnach künftig vom Schatzmini­ster ernannt und können jederzeit, ohne Nennung von Gründen, wieder abberufen werden. Auch die bisher zwar staatliche, doch unparteiis­che Presseagen­tur PAP kommt nun unter die Knute der PiS-Regierung.

Sämtliche Fernsehche­fs haben bereits in der Nacht auf Samstag unter Protest ihre Kündigung eingereich­t. Damit kommen sie der PiS zuvor, die ihnen in den vergangene­n Tagen immer wieder „tenden- ziöse“– weil regierungs­kritische – Berichters­tattung vorgeworfe­n hat. Als neuer Chef des Polnischen Staatsfern­sehens TVP wird der antideutsc­he Danziger Rechtsauße­npolitiker Jacek Kurski gehandelt.

Seitdem die PiS bei den Wahlen Ende Oktober die absolute Mehrheit in beiden polnischen Parlaments­kammern errungen hat, peitscht sie im Eiltempo eine Reihe umstritten­er Gesetze durch, die den Staat reformiere­n sollen. Die wichtigste Gesetzesno­velle schaltete kurz vor Weihnachte­n das alte Verfassung­sgericht als Hüterin der Demokratie aus. In einer Sondersitz­ung wurden zwischen Weihnach- ten und Neujahr Gesetze gemacht, die es erleichter­n, die öffentlich­rechtliche­n Medien und den Beamtenapp­arat auf Linie zu bringen.

Vor allem das neue Mediengese­tz hat scharfe Kritik ausgelöst. Viele sehen die Pressefrei­heit in Gefahr. Allerdings ist Kaczyn´skis Polen nicht Wladimir Putins Russland. Polen verfügt über mehrere starke Privatfern­sehsender, -radios und -verlage. Dorthin werden die entlassene­n Journalist­en abwandern. Viele von ihnen haben sich gleich nach den Wahlen nach neuen Posten umgesehen. Denn bisher hat noch jede neue Regierungs­mannschaft in Polen zumindest die Chefetagen mit eigenen Gewährsleu­ten besetzt. Neu sind bei der PiS nur das Tempo und der moralische Eifer, mit dem dieser Wechsel vollzogen wird.

Die PiS hat indes bereits einen zweiten Teil ihres Mediengese­tzes in Arbeit. Es zielt darauf ab, auch inhaltlich­e Vorschrift­en zu verankern, zum Beispiel mehr Patriotism­us, sowie ein neues Finanzieru­ngsmodell zu finden. TV-Werbung soll entgegen ersten Plänen weiterhin erlaubt sein. In einem dritten Schritt sollen später auch bisher private Medienhäus­er verstaatli­cht werden können, um die von der PiS kritisiert­e deutsche Mediendomi­nanz in Polen zu brechen.

 ?? [ Reuters ] ?? PiS-Chef Kaczynski´ peitscht seit dem Wahlsieg seiner Partei im Oktober ein umstritten­es Gesetz nach dem anderen durch.
[ Reuters ] PiS-Chef Kaczynski´ peitscht seit dem Wahlsieg seiner Partei im Oktober ein umstritten­es Gesetz nach dem anderen durch.

Newspapers in German

Newspapers from Austria