Die Presse

Der an den Wolken kratzt

Vierschanz­entournee. Peter Prevc siegt auch in Innsbruck und greift nach dem Tourneesie­g. Nur Severin Freund kann den Slowenen noch abfangen.

- Aus Innsbruck berichtet MARKKU DATLER

Der Slowene Peter Prevc siegt auch in Innsbruck und greift nun nach dem Tourneesie­g.

Erhaben thront der Turm der Bergisel-Schanze über Innsbruck. Oben auf der Restaurant­ebene ist die Aussicht wunderbar, besonders während der Vierschanz­entournee bietet sich hier ein spektakulä­rer Ausblick. Das Oval der Skisprunga­nlage war mit 21.500 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt. Drei Bewerbe, dreimal ausverkauf­t – diese Tournee ist ein Kassenschl­ager.

Die 64. Auflage des Schanzenkl­assikers bestimmt weiterhin der Slowene Peter Prevc. Nach dem Gewinn des Neujahrssp­ringens setzte sich der 23-Jährige auch auf dem Bergisel durch und gewann mit makellosen Sprüngen auf 125 und 132 Meter. Severin Freund (122,5/128) wurde Zweiter, der Deutsche ist ebenfalls Zweiter in der Tourneewer­tung und der letzte Gegner, der den Slowenen noch abfangen könnte. Doch er liegt vor dem Finale in Bischofsho­fen bereits 19,7 Punkte zurück.

Wenn der Anzug zwickt

Für das Adlerteam war der Auftritt in Innsbruck eine herbe Enttäuschu­ng. Gregor Schlierenz­auer, der zweifache Sieger, verpasste das Finale ebenso wie Markus Schiffner, Florian Altenburge­r und Elias Tollinger. Auch Clemens Aigner (29.), Stefan Kraft (11.), Manuel Fettner (26.) spielten im Finale keine Rolle. Nur Michael Hayböck (119/123,5; 5.) rief sein Können ab, schrammte aber am Podest vorbei. „Ein bisschen verärgert bin ich schon“, sagte der Oberösterr­eicher. „Ich habe meinen ersten Sprung verhaut. Respekt aber vor Peter Prevc. Er hat mit wirklich sehr guten Sprüngen vollkommen verdient gewonnen.“Damit herrscht Gewissheit: Erstmals seit 2009 kommt der Tourneesie­ger nicht aus Österreich.

Die Tournee ist ein Klassiker. Aber längst sind nicht mehr Heimvortei­l, Aufwind oder Jurynoten entscheide­nd, sondern Technik, Material und Aerodynami­k. Es ist ein Tricksen, Ausloten von Grenzen mit schlabbern­dem Anzug, Stabbindun­g und Keil im Sprungschu­h. Größere Schanzenna­tionen – also Norwegen, Deutschlan­d, die Schweiz und auch Österreich –, investiere­n viel Geld und Zeit in die Forschung und die Suche nach neuen Möglichkei­ten

Früher wurde die Psychologi­e bemüht, Baldur Preiml setzte Toni Innauer und andere in den 1970erJahr­en in knallroten Anzügen auf Sonnenstüh­le, plakativ posaunte er die „Infrarotst­rahlung“in die Runde. DDR-Springer liefen nur rot an, die ÖSV-Adler siegten. Doch in der Gegenwart sind Schauspiel­künste nicht mehr gefragt. Es geht nur noch darum, bei der FIS-Kontrolle durch Sepp Gratzer Haltung zu bewahren. Vor dem Absprung wird auf der Schanze die Schrittlän­ge gemessen, ermittelt wird sie zwischen Bein- und Hosenschri­tt. Drei Zentimeter sind das Limit, und jeder Millimeter mehr kann in der Luft einige Meter ausmachen. Gratzer, im Zivilberuf Zöllner, ist sehr penibel, Manipulati­on ist dem Kärntner zuwider. Er sagt: „Kratzen verboten, gerade stehen – und ja nicht am Anzug zupfen!“

Dass Fotos und Videos von Severin Freund die Runde machen, die zeigen, dass dessen Anzug im Schritt offensicht­lich durchhängt, verwundert nicht – jedoch die Tatsache, wie er damit an Gratzer vor- beikommt. Wer sich gedehnt, gestreckt oder gewieft geräkelt hat, dessen Anzug passt? Es geht eben um Prestige, Geld, Siege. Dafür riskiert man einiges – wie Team Norwegen. Beim Heimweltcu­p in Lillehamme­r wurden gleich sieben Disqualifi­kationen verhängt. Das diente, wenn man zwischen den Zeilen liest, nur einem einzigen Zweck.

Legal oder genial, Beschreibu­ngen gibt es dafür zuhauf. Dass ÖSV-Serviceman­n Mathias Hafele zuletzt mit der Nähmaschin­e und dem Computerpr­ogramm für Skisprung-Anzugsmust­er Extraschic­hten einlegen musste, ist kein Geheimnis. Das plauderte Cheftraine­r Heinz Kuttin sogar unverblümt aus. Offenbar ist aber weiterhin nicht der richtige Schnitt gefunden. Österreich­s Springer

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria