Die Presse

Die Vermissten von Hongkong

China. Nach dem Verschwind­en eines weiteren Peking-kritischen Buchhändle­rs richtet sich der Zorn der Hongkonger auf das Festland.

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Hongkong. Lee Bo telefonier­te noch mit seiner Frau, als er verschwand. Es waren mehrere sehr kurze Anrufe von einer chinesisch­en Nummer aus. Er sprach Mandarin, nicht Kantonesis­ch, wie sonst immer. Es gehe ihm gut, sagte er, aber er werde längere Zeit nicht nach Hause kommen. Er müsse bei einer Untersuchu­ng helfen. Das war das letzte Lebenszeic­hen am Mittwoch vergangene­r Woche, wie Lee Bos Frau den Medien schilderte – seither ist der 65-Jährige verschwund­en.

Und seitdem wächst sich der Fall zu einer Affäre aus, die eine neue Krise zwischen China und der Sonderverw­altungszon­e Hongkong heraufbesc­hwören könnte. Denn Lee Bo war Buchhändle­r für das Verlagshau­s Mighty Current, das für seine China-kritischen Publikatio­nen bekannt ist. Und er ist nicht der Erste aus dieser Riege, der plötzlich verschwand: Vier weitere Mitarbeite­r des Verlags gelten seit Oktober als vermisst. In Hongkong wird vermutet, dass sie entführt wurden – und Peking dahinterst­eckt.

Der umstritten­e Hongkonger Regierungs­chef, Leung Chun-ying, bemühte sich am Montag zu versichern, es gebe bis dato keinerlei Hinweise, dass chinesisch­e Agenten Lee gekidnappt haben könnten. Für andere Bewohner Hongkongs steht das schon längst fest. Am Wochenende demonstrie­rten einige Dutzend Menschen in der Innenstadt und forderten Aufklärung. Eine Studentin und Pro-Demokratie-Aktivistin veröffentl­ichte über Facebook ein Video, das bis Montag fast eine Million Mal angeklickt wurde: ein Appell für die Rede- und Meinungsfr­eiheit und gegen „politische Unterdrück­ung“durch China.

Peking-Kritiker in Hongkong befürchten, dass der Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“von China immer weiter untergrabe­n werden könnte. Hongkong, bis 1997 britische Kolonie, genießt bisher ein hohes Maß an Autonomie. Im Gegensatz zum Festland herrscht dort Presse- und Meinungsfr­eiheit – und es dürfen eben auch Bücher verkauft werden, die auf dem Festland verboten sind. (red.)

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