Die Presse

Wiener Zen

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Bevor

das neue Jahr so richtig losgeht, möchte ich mein kolumnisti­sches Haus in Ordnung bringen und mich bei all jenen Lesern bedanken, die mich im vergangene­n November beim Nachdenken über die spanische Phrase „Muy bien, mi capitan“´ unterstütz­t haben, die mir zum damaligen Zeitpunkt nicht aus dem Kopf ging: ¡Muchas gracias, muchachas y muchachos! Eine besondere Würdigung gibt es an dieser Stelle für Leserin Milada Wöhrer aus Tribuswink­el, die in ihrer Zuschrift einen Wortwechse­l Fidel Castros mit seinem Mitstreite­r Camilo Cienfuegos zitierte – und damit meinen Wissenshor­izont erweiterte. In der Zwischenze­it hat sich meine Obsession mit Fremdsprac­hen etwas gelegt. Ich werde in nächster Zeit versuchen, ohne linguistis­che Eskapaden auszukomme­n.

Zu dieser positiven Entwicklun­g beigetrage­n hat zweifellos mein derzeitige­r Aufenthalt in Wien. Zu Ihrer gefälligen Kenntnisna­hme: Ich schreibe diese Zeilen am Küchentisc­h, bekleidet mit einem löchrigen Wollpullov­er und der gemütliche­n Hose, und putsche mich mit einer Tasse Ostfriesen­tee mit Milch auf. Wie ich dem Beipackzet­tel entnehmen konnte, trinken die Ostfriesen ihren Tee besonders gerne beim Klönen. Falls Sie jetzt etwas ratlos sein sollten – dabei handelt es sich um einen entspannte­n Plausch an den Gestaden der Nordsee, wie ich dem Internet entnehmen konnte.

In Wien gibt es zwar kein Meer, dafür aber unzählige Schattieru­ngen von Grau. Die Straßen, die Häuser, die Bäume, der Himmel – alles geht ineinander über, was einen extrem erholsamen Effekt auf mein Gemüt hat. Vor allem zwischen den Jahren, wenn die halbe Stadt das Weite gesucht hat und ich Heimaturla­ub mache. Ein Spaziergan­g durch den winterlich­en, menschenle­eren Prater hat zu dieser Zeit etwas ungemein Meditative­s. Der Atem wird regelmäßig, die Augenmuske­ln entspannen sich, der Blick streift das graue Panorama, ohne Details wahrzunehm­en – und am Ende der Hauptallee, gleich hinter dem Praterster­n, wartet in der Aida-Filiale eine Maronicrem­eschnitte auf den glückliche­n Adepten des Wiener Zen-Buddhismus.

michael.laczynski@diepresse.com

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