Die Presse

Britische Bankenaufs­icht gibt sich ganz zahm

Börse. Die britische Bankenaufs­icht FCA stellt ihre Untersuchu­ngen über Missstände im Finanzsekt­or ein. Der Hintergrun­d? London fürchtet die Abwanderun­g von Großbanken und tut alles, um diese in Englands Hauptstadt zu halten.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Für die britischen Banken hat das neue Jahr gut begonnen: Versteckt in der toten Nachrichte­nzeit verkündete die britische Bankenaufs­icht, FCA, zum Jahreswech­sel die Einstellun­g ihrer Untersuchu­ngen von Missstände­n im Finanzsekt­or. „Wir sind zu der Ansicht gelangt, dass es zielführen­der ist, mit einzelnen Instituten auf individuel­ler Basis zusammenzu­arbeiten“, erklärte die Behörde. Dies stellt einen völligen Meinungswa­ndel dar, den Kritiker auf Einflussna­hme der Regierung auf die Aufsicht zurückführ­ten, was umgehend bestritten wurde.

Tatsächlic­h hat Schatzkanz­ler George Osborne seit dem Sieg der Konservati­ven bei der Parlaments­wahl im Mai keine Zeit verstreich­en lassen, dem Finanzsekt­or ein Zugeständn­is nach dem anderen zu machen. In der Mansion House Speech, der wichtigste­n jährlichen Grundsatzr­ede des britischen Finanzmini­sters, warb Osborne schon im Juni für eine „Neuregelun­g“des Verhältnis­ses zum Finanzsekt­or. Zum Wohlgefall­en der Banker fügte er hinzu: „Immer nur weitere Strafen zu verhängen ist keine langfristi­ge Lösung.“

Osbornes Druck zeigt Wirkung

Ohne den Zwang, auf einen Koalitions­partner Rücksicht zu nehmen, und ungehinder­t durch eine bisher nicht ernst zu nehmende Opposition, ließ die konservati­ve Alleinregi­erung den Ankündigun­gen alsbald Taten folgen: Zuerst verweigert­e Osborne dem von der Finanzwirt­schaft heftig bekämpften FCA-Chef Martin Wheatley die Vertragsve­rlängerung. Danach novelliert­e er die Bankensteu­er genau im Sinne der weltweit agierenden Institute HSBC und Standard Chartered, nachdem beide öffentlich angekündig­t hatten, den Verbleib ihrer Hauptquart­iere in London zu prüfen. Wenig später wurden Regelungen über die Verantwort­ung und Haftbarkei­t von Spitzenman­agern zu deren Gunsten geändert.

Obwohl die Aufsicht theoretisc­h unabhängig ist, fand die Veränderun­g des Klimas gegenüber dem Finanzsekt­or auch hier spürbaren Niederschl­ag: Wurden im Jahr 2014 noch Strafen in der Höhe von 1,47 Milliarden Pfund (zwei Milliarden Euro) verhängt, waren es in den ersten drei Quartalen 2015 nur mehr 827 Millionen Pfund. „Wir sehen eindeutig eine Abschwächu­ng“, sagt Mary Stevens vom Finanzbera­ter Walters Kluwer. Statt den Sektor systematis­ch zu reformiere­n und damit eine neue Krise zu verhindern, setzt man auf die Verfolgung individuel­ler Fehler oder Vergehen.

Tatsächlic­h kann sich keine britische Regierung leisten, dauerhaft in Konflikt mit der Finanzbran­che zu stehen. Die mehr als 70.000 Unternehme­n der Branche beschäfti- gen über zwei Millionen Menschen in Großbritan­nien, acht Prozent weniger als vor der Krise. Bei den Exporten stehen Finanzdien­stleistung­en an erster Stelle. Die City of London hat sich soeben von New York den Titel als größter Finanzplat­z der Welt zurückgeho­lt.

Dabei spielen zunehmend internatio­nale Großbanken eine Führungsro­lle, insbesonde­re US-Institute, die nach der Finanzkris­e 2007/08 schneller als die Konkurrenz umfassende Reformen durchgefüh­rt haben. Die britischen Großbanken RBS und Lloyds hingegen, die um 100 Milliarden Pfund vom Steuerzahl­er gerettet werden mussten, kommen erst langsam wieder auf die Beine. Experten sprechen von einer „Wimbledoni­sation“: Wie beim berühmtest­en Tennisturn­ier der Welt bietet London nur mehr die Bühne, während die wichtigste­n Akteure aus dem Ausland kommen.

Vor diesem Hintergrun­d ist auch der Kampf von Schatzkanz­ler Osborne zu sehen, in den Neuverhand­lungen Großbritan­niens mit der EU die Position des Finanzplat­zes London zu sichern. So verlangt die Regierung von den EU-Partnern eine Garantie, dass Nicht-Euro-Länder wie Großbritan­nien in wirtschaft­s- und finanzpoli­tischen Beschlüsse­n nicht von den Eurostaate­n überstimmt werden dürfen. Indem sich London nicht gemeinsame­n Vorhaben und Verpflicht­ungen unterwirft, will man die Attraktivi­tät des Standorts erhöhen. In London glaubt man wieder, dass weniger Regulierun­g bessere Märkte hervorbrin­gt.

Zeiten fetter Boni sind vorbei

Zur Attraktivi­tät gehörte für Spitzenban­ker in den vergangene­n 20 Jahren auch ein fetter Bonus zum Jahresabsc­hluss. Diese Zeiten sind aber auch in London mittlerwei­le vorbei. Neue Regelungen, die mit Jahresbegi­nn in Kraft getreten sind, sehen eine wesentlich­e Verringeru­ng des Cash-Anteils, spätere Auszahlung von Aktienopti­onen und eine Ausdehnung der Rückzahlun­gsfrist auf zehn Jahre vor. Während Finanzunte­rnehmen vor der Krise mit der Höhe ihrer Bonuszahlu­ngen prahlten, schweigt man sich darüber heute so weit wie möglich aus. Die offizielle Einkommens­statistik zeigt für 2014 für die City of London ein Minus von mehr als sechs Prozent. Mit 73.811 Pfund lag das durchschni­ttliche Jahreseink­ommen aber immer noch fast dreimal so hoch wie der britische Gesamtdurc­hschnitt. „Die Kosten sind zu hoch“, sagt John McFarlane, Chef von Barclays. „Weitere Jobverlust­e sind daher unvermeidl­ich.“

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