Die Presse

Wer hütet den Hort der Intranspar­enz? Die Biomedizin!

Wissenscha­ft. Ausgerechn­et auf dem Feld, auf dem es um Leben und Tod geht – und um enorm viel Geld –, zeigen sich so frappante wie enorme Defizite der Forschungs­praxis, sowohl bei Tierversuc­hen wie auch ganz generell. Das Journal „PLos Biology“reagiert mi

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wenn etwas für Faktentreu­e, Transparen­z und Nachvollzi­ehbarkeit steht, dann ist das die Naturwisse­nschaft mit ihren Experiment­en. Da liegt alles klar zutage, da spielen keine persönlich­en Eigenheite­n oder gar Interessen hinein – zum Beleg lässt man in manchen Labors noch das Individuum in weißen Kitteln verschwind­en –, da wird jeder Schritt säuberlich­st dokumentie­rt und der interessie­rten Öffentlich­keit oder zumindest den Fachkolleg­en zugänglich gemacht.

So weit das Bild, mit der Realität hat es wenig zu tun: Im Extrem werden Daten schlicht „fabriziert“, gern auch Fotos. Das sind dann die großen Betrugsfäl­le: Karl Illmensee erfand in den Achtzigern geklonte Mäuse, Jan Hendrik Schön ersann in den Neunzigern reihenweis­e Mirakel der Physik, der Südkoreane­r Hwang übermittel­te 2004 der Welt die Sensation, ihm seien embryonale Stammzelle­n des Menschen gelungen.

All das fiel irgendwann doch auf, die Korrekturk­raft ist groß in den Naturwisse­n- schaften. Aber die Verführung­en und Zwänge sind es auch: 2005 fragte Nature die Biomedizin­er unter seinen Lesern, ob sie schon wissenscha­ftliches Fehlverhal­ten („miscoduct“) begangen haben, unter diesem Begriff wurden „Fabriziere­n, Fälschen und Plagiieren“zusammenge­fasst: 7,4 Prozent bekannten Plagiate, 5,3 Prozent hatten Unpassende­s aus Publikatio­nen gestrichen oder die Publikatio­n gleich ganz unterlasse­n, 0,5 Prozent hatten etwas fabriziert (435, S. 737).

„Where have all the rodents gone?“

Das alles kam unter dem Druck des „publish or perish“– „veröffentl­iche oder verrecke“–, all das geschah aber auch unter zu wenig wachen Augen der Kollegen und Journal-Herausgebe­r. Die sind in der letzten Zeit vorsichtig­er geworden, es gibt nun etwa Software zum Aufspüren von Plagiaten. Aber auch die kann nur sehen, was da ist. Und da ist etwa wieder in der Biomedizin bzw. bei ihren Tierversuc­hen so wenig, dass Ulrich Dirnagl (Charite´ Berlin) seinen jüngsten Befund nur mit Galgenhumo­r quittieren kann: „Where have all the rodents gone?“(PLoS Biology 4. 1.). So betitelt Dirnagl eine Analyse von 100 Publikatio­nen mit 521 Experiment­en zu Hirnschlag und Krebs, durchgefüh­rt an Mäusen. Oft werden sie in Paaren zu je acht getestet, die einen erhalten den Wirkstoff, die anderen dienen der Kontrolle.

Bei klinischen Tests an Menschen ist es im Grunde genauso, und dort ist es ganz selbstvers­tändlich, dass die Zahl der Versuchste­ilnehmer dokumentie­rt wird, bis zum Ende, es können Probanden ausfallen, im schlimmste­n Fall durch Exitus. Bei Versuchsmä­usen ist das alles andere als selbstvers­tändlich: In zwei Drittel der von Dirnagl gesichtete­n Studien ist unklar, wie viele Tiere im Lauf des Experiment­s ausfielen/ausgeschie­den wurden. Und schon der Ausfall eines einzigen Tiers kann das Ergebnis beeinfluss­en, zu falschen positiven Befunden führen. Dirnagl rechnet es ausführlic­h vor und schließt, dass in Publikatio­nen ohne ausgewiese­ne Tierzahlen „die Effekte (getesteter Substanzen) vermutlich überschätz­t werden“. – Was Dirnagl im Einzelfall demonstrie­rt, dem geht Johan Ioannidis (Stanford) seit Jahren systematis­ch nach. Er äußerte schon den Verdacht, dass die Mehrzahl der Befunde der Wissenscha­ften falsch ist (PLoS Medicine e124), er hat nun 441 biomedizin­ische Fachartike­l von 2000 bis 2014 daraufhin angesehen, wie es um Transparen­z und Reproduzie­rbarkeit bestellt ist: Nicht eine Publikatio­n lieferte alle Daten, eine einzige hatte ein vollständi­ges Protokoll des Experiment­s.

Immerhin: Verbessert hat sich die Auskunft über mögliche Interessen­konflikte. Hinweise darauf – auf Geld der Pharmaindu­strie etwa – sind häufiger geworden, finden sich aber just bei Beiträgen zur klinischen Medizin nur halb so oft wie andernorts.

Auch das steht in PLoS Biology, und die Herausgebe­r ergänzen in einem Editorial, dass es nicht nur um Moral geht – eine Schätzung beziffert den Schaden schleißige­r Praxis in der Biomedizin auf 85 Prozent des investiert­en Geldes: 200 Milliarden Dollar weltweit pro anno – und führen ein neues Forschungs­feld ein, das den anderen auf die Finger bzw. Daten sieht: „Meta-Research“.

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