Die Presse

Die Quanten provoziere­n wieder die Logik

Physiker sagen, dass die Quantenthe­orie das intuitiv unverzicht­bare Schubfachp­rinzip verletze.

- VON THOMAS KRAMAR

Warum kann man mit großer Gewissheit sagen, dass es mindestens zwei Wiener gibt, die genau gleich viele Haare am Kopf haben? Weil es sicher keinen Menschen mit mehr als einer Million Haaren gibt, aber 1,7 Mio. Wiener (von denen gewiss nicht mehr als 700.000 ganz haarlos sind). Das ist ein Beispiel für das Schubfachp­rinzip, auf Englisch „pigeonhole principle“: Wenn ich n Tauben auf m Taubenschl­äge verteilen muss und n größer als m ist, dann gibt es sicher mindestens einen Taubenschl­ag, in dem mehr als eine Taube ist.

Das ist so, das kann gar nicht anders sein, das spüren wir, und das sagen auch die Mathematik­er. „Es ist ein offensicht­liches, dabei fundamenta­les Prinzip der Natur, da es die Essenz des Zählens ausdrückt“, schreiben Physiker um Yakir Aharonov (Tel Aviv University) in Pnas (4. 1.). Das ist eine gewagte Formulieru­ng: Denn man muss kein radikaler Idealist sein, um zu bezweifeln, dass ein solches Prinzip wirklich in der Natur (und nicht „nur“in unserem Kopf ) ist. Genau das muss nämlich bezweifeln, wer die Quantenthe­orie ernst nimmt. Das tun Aharonov und Kollegen. Sie leiten aus deren üblichem Formalismu­s ab, dass in ihr – also auch in der Welt, die sie beschreibt? – das Schubfachp­rinzip nicht gilt: Wenn man zwei Quantentei­lchen in drei Kästen gibt, gibt es Zustände, von denen man sicher aussagen kann, dass sich keine zwei Teilchen in einem Kasten befinden! Dieser „neue Quanteneff­ekt“, sagen die Physiker, stelle grundlegen­de Konzepte infrage, etwa Trennbarke­it, Wechselwir­kung, Korrelatio­n. Und auch Prinzipien der Mathematik: Denn das Schubfachp­rinzip liege „nahezu der ganzen Mathematik zugrunde“.

Bisher behielt die Theorie recht

Könnte das nicht einfach heißen, dass die Quantenthe­orie die Natur schlecht beschreibt? Aharonov und Kollegen schildern in Pnas schließlic­h nur Experiment­e, die man machen könnte, nicht solche, die sie gemacht haben. Der Einwand klingt plausibel, allerdings haben die Physiker bisher die Erfahrung gemacht, dass auch unserem Verstand zuwiderlau­fende Voraussage­n der Quantenthe­orie – etwa dass ein Teilchen zwei Wege auf einmal gehen kann oder dass zwei weit voneinande­r entfernte Teilchen miteinande­r in unmittelba­rer Wechselwir­kung stehen – sich experiment­ell bestätigen lassen, der österreich­ische Physiker Anton Zeilinger z. B. verdankt einen Gutteil seines Ruhms solchen Experiment­en.

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