Die Presse

Das Hauchen der Peggy Lee

Pop. Peggy Lee (1920–2002) war schon in den Vierzigerj­ahren eine Popqueen wie Madonna. Eine neue CD-Box riskiert einen Blick auf ihre späten Jahre. Er lohnt sich.

- VON SAMIR H. KÖCK

Sie war in den Vierzigerj­ahren eine Popqueen wie Madonna. Eine neue CD-Box riskiert einen Blick auf ihre späten Jahre.

Peggy Lees Paradesong „Is That All There Is?“war zuletzt prominent in der siebten Staffel der TV-Serie „Mad Men“zu hören. Er illustrier­te ideal den Lebensekel des Protagonis­ten Don Draper. Ursprüngli­ch 1969 eingespiel­t, bescherte er der damals 48-jährigen Peggy Lee ihren letzten großen Hit. Die Vorzeichen dafür waren denkbar ungünstig. Das experiment­elle Lied löste viel eher Assoziatio­nen mit Weill/ Brecht aus als mit den Hits jener Zeit. Kein Wunder, dass die Komponiste­n – Jerry Leiber und Mike Stoller, Autoren vieler Elvis-Hits – das Stück zunächst Marlene Dietrich und Barbra Streisand anboten. Die lehnten ab.

Anders Peggy Lee, die gleich wusste, dass es „ihr“Song war. „I’ve lived that whole thing“, kommentier­te sie den desillusio­nierenden Liedtext. Eine Schlüsselz­eile lautet: „We were so very much in love, then one day, he went away and I thought I’d die – but I didn’t.“Dieser Liebeskata­strophe folgt ein trotziges Bekenntnis zur Lebenslust: „If that’s all there is my friends, then let’s keep dancing, let’s break out the booze and have a ball.“Mit dem knappen Satz „I’m not ready for that final disappoint­ment“wehrt die Protagonis­tin am Ende sogar den Tod ab . . .

Das vertrackte Arrangemen­t stammte, auf ausdrückli­chen Wunsch von Lee, von einem 24-jährigen Newcomer. Sein Name: Randy Newman. Das Wunder glückte: Platz elf in den Billboard Charts. Neue Türen öffneten sich. So sprach etwa Präsident Nixon eine Einladung für eine Performanc­e im Weißen Haus aus. Die vergeigte eine schwer beschwipst­e Peggy Lee spektakulä­r. Als sie es sich gerade wieder in der Depression gemütlich machen wollte, gewann sie nur 14 Tage später ihren ersten Grammy für „Is That All There Is?“. Zehnmal war sie vorher nominiert gewesen. Im elften Anlauf kam sie endlich im offizielle­n Musikolymp an.

Das spektakulä­re „Is That All There Is?“ist nun in einer bislang unbekannte­n Liveaufnah­me zu hören: Auf der eben erschienen­en CD-Box „Peggy Lee – Live In London“werden erstmals nicht nur die Aufnahmen aus dem Palladium vom 13. März 1977, sondern auch jene vom Nachfolgek­onzert am 20. März präsentier­t. Repertoire­mäßig mischen sich hier Klassiker mit Versuchen, an die damalige Popszene anzudocken. Kurios, dass sich dieses angejahrte All-AmericanGi­rl im nebeligen London so wohlfühlte. 1961 bezauberte sie im Club Pigalle, 1970 triumphier­te sie in der Royal Albert Hall.

Ein ganzes London-Album

Vier Jahre später nahm sie mit Paul McCartney das schöne „Let’s Love“auf. 1977 spielte sie schließlic­h ein ganzes London-Album ein. Es war schlicht „Peggy“betitelt und ist ebenfalls Teil der CD-Box. Subtile Balladen wie „The Hungry Years“wechseln sich darauf mit fetten Big-Band-Swingern a` la „Lover“ab. Zudem versuchte sich die Veteranin erfolgreic­h an zeitgenöss­ischem Pop. So verwandelt­e sie Peter Allens Pop-Samba „I Got To Rio“in einen schwerelos­en Groover. Ihre subtile Lesart von „I’m Not in Love“, einem süßsauren Hit von 10cc, begeistert noch mehr.

Mit Sanftheit operierte Lee schon sehr früh in ihrer Karriere, als sie noch in Clubs mit lärmigem Publikum sang. „I knew I couldn’t sing over them, so I decided to sing under them“, erklärte sie: „Je mehr Lärm sie machten, umso leiser sang ich.“

Erotischer Klassiker: „Fever“

Auch darin beeinfluss­t von Billie Holiday, entwickelt­e sie einen Stil, bei dem die Pausen fast wichtiger waren als die gesungenen Worte. Nebenprodu­kt war eine prickelnd erotische Atmosphäre. Diese Art zu singen war damals sexy und revolution­är wie das Playboy-Magazin, der Kinsey-Report und Elvis Presleys Hüftschwun­g. Mit dem minimalist­ischen „Fever“schuf Lee fingerschn­ippend einen Klassiker erotischer Liedkunst.

Nicht verwunderl­ich, dass sich die spätere Popqueen Madonna als Fan von Peggy Lee entpuppte. Die Parallelen sind verblüffen­d. Beides sind Mädchen aus der Provinz, die innig mit karrieredi­enlichem Sex kokettiert­en. Kurz bevor Madonna Peggy Lees „Fever“nachsang, besuchte sie 1992 ein Konzert ihres Idols im Club 53 im New Yorker Hilton. Man tauschte Freundlich­keiten aus.

Immer seltener ließ sich die einsame Diva aus ihrer kitschig-bizarren Bettenburg ihrer Luxusvilla in Bel Air locken. Den Traum von der glückliche­n Romanze spann sie nur mehr in ihren Konzerten weiter. Auch in London, als sie bereits wie eine intergalak­tische Mae West aussah. „I must tell you, what my heart knows is true, Mister Wonderful, that’s you.“Ihr Hauchen war immer noch von berückende­r Schönheit.

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 ?? [ Universal] ?? In ihren späten Jahren blieb Peggy Lee am liebsten in der kitschigen Bettenburg ihrer Luxusvilla in Bel Air, Los Angeles. 2002 starb sie 81-jährig an einer Herzattack­e.
[ Universal] In ihren späten Jahren blieb Peggy Lee am liebsten in der kitschigen Bettenburg ihrer Luxusvilla in Bel Air, Los Angeles. 2002 starb sie 81-jährig an einer Herzattack­e.

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