Die Presse

Wenn die Macht vom Hofer ausgeht

Eine Fahrlässig­keit ganzer Generation­en: Die Verfassung bietet Präsidente­n wesentlich mehr Macht, als sie bisher ausübten. Wieso wurde das nie geändert?

- VON RAINER NOWAK

E s bietet unseren Kindern einen Hauch jener alten, längst untergegan­genen politische­n Welt, wie es sie nur noch in Havanna, Moskau, Pjöngjang und St. Pölten zu bewundern gibt. In jedem Klassenzim­mer hängt ein Bild des österreich­ischen Bundespräs­identen. Also ein Foto jenes Mannes, der in Österreich­s Politik bisher die Rolle eines Moderators, Mahners und Notars ausgeübt hat. Nur ein Einziger wollte mehr, es blieb beim Versuch Thomas Klestils. Stimmt, der Präsident ist vom Volk gewählt, aber das ist jeder Gemeindera­t auch. Und brauchen Kinder tatsächlic­h eine staatliche Autorität mit Photoshop-Potenzial nach oben? Reicht nicht die Lehrerin oder der Lehrer?

Daher ist Norbert Hofer zu danken, der diese Lappalie entdeckt hat, und dieses Überbleibs­el aus der Ära von bedingungs­loser Staatsgläu­bigkeit mit dem typisch österreich­ischen Schuss Monarchien­ostalgie beseitigen will. Aber es wäre nicht der FPÖ-Kandidat, würde er den Kindern nicht eine andere Botschaft mitgeben wollen. Wie auf seinen Wahlplakat­en den Satz aus der österreich­ischen Bundesverf­assung: „Die Macht geht vom Volk aus.“Was dieser inhaltlich wichtige wie richtige Satz als Bauernkale­nder-Merkspruch in der Klasse zu suchen hat, ist nicht ganz klar: Sind die Schüler das Volk? Die Macht liegt also nicht beim Lehrer und der Schule? Systemkrit­ik ab der Volksschul­e als FPÖ-Plan? Jetzt stellen wir uns kurz Hofer und den Werbetexte­r der FPÖ, Herbert Kickl, in ihrer Jugend vor. Haben sie zu Pink Floyd mitgesunge­n und gestampft: „We don’t need no education. We don’t need no thought control. [. . .] Hey, teacher, leave us kids alone!“? Nein. Rein handwerkli­ch ist die Wahl des Satzes schlau, suggeriert er doch, Hofer sei der Kandidat des Volkes gegen das System. Dass er ein wenig den „Wir sind das Volk“-Rufen der Pegida-Anhänger ähnelt, die ihn von jenen mutigen deutschen Demonstran­ten gestohlen haben, die ihn 1989 dem DDR-Regime entgegenge­rufen haben, gefällt vielleicht dem einen oder anderen Anhänger. Ja, Hofer hat seine Verfassung gelesen und liefert uns völlig neue Interpreta­tionen und ein völlig anderes Amtsverstä­ndnis: Er will in Zukunft be- urteilen, ob eine Regierung gut ist oder nicht. Im zweiten Fall löst er sie oder gleich den ganzen Nationalra­t auf, erzwingt Neuwahlen, und Ministerka­ndidaten nimmt er ohnehin die Prüfung ab. Gesetze schmeißt er bei Bedarf auch zurück, bis sie ihm gefallen, und er engt den Spielraum der Regierung ein. Die Verfassung­srechtler freuen sich auf viel Arbeit und ausgedehnt­e TV-Auftritte, die meisten stimmen aber der Hofer-Theorie zu, dass da viel mehr geht mit Macht und Einfluss in der Hofburg. Wir werden uns wundern, sagt der Rechtspopu­list mit den guten Manieren ehrlicherw­eise. Ihn zu wählen, kann also die von vielen erhoffte Sprengung des politische­n Systems bedeuten. Oder eben die andauernde, hysterisch kommentier­te Staatskris­e. Manche glauben verharmlos­end, Hofer würde wie im Amt des Dritten Nationalra­tspräsiden­ten nur glücklich repräsenti­eren und die Tapetentür nicht öffnen, wenn der eifersücht­ige HeinzChris­tian Strache draußen trommelt.

Erstaunlic­h an diesen Gummi-Formulieru­ngen im Verfassung­srang ist die Nonchalanc­e, besser: die Fahrlässig­keit, der österreich­ischen Eliten in der Vergangenh­eit. Warum ist niemand auf die Idee gekommen, die entspreche­nden Verfassung­sbestimmun­gen zu präzisiere­n und genau das zu verhindern, was nun möglicherw­eise passiert: dass Österreich ohne große Debatte vom Präsidente­n in Richtung Präsidialr­epublik umgebaut wird? Und nein, eine Präsidents­chaftswahl ist keine Volksbefra­gung. Und wenn wir schon bei absurden Veränderun­gen unseres Systems sind: Bis heute versteht kein vernünftig denkender Mensch, warum die Legislatur­periode von vier auf fünf Jahre verlängert wurde. Dies hat die Frustratio­n über die Große Koalition logischerw­eise massiv verstärkt.

Und Hofer hat den stärksten aller Wahlhelfer: Solange Werner Faymann ernsthaft glaubt, er kann weitermach­en wie bisher, verstärkt das den Zorn der Wähler. Faymann rennt für Norbert Hofer.

In Kürze kommt dann Alexander Van der Bellen an dieser Stelle vor.

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