Die Presse

Fred Mayer, der jüdische Retter von Innsbruck

Nachruf. Als Bub floh er aus Freiburg vor den Nationalso­zialisten nach New York. Knapp vor Kriegsende verhindert­e er als US-Agent in einer waghalsige­n Aktion, dass Innsbruck als Teil der „Alpenfestu­ng“in Schutt und Asche gelegt wurde.

- MONTAG, 2. MAI 2016 VON OLIVER GRIMM (WASHINGTON)

In der Nacht auf den 26. Februar 1945 machten sich drei junge Männer an Bord einer B-24 Liberator über den Tiroler Alpen bereit für etwas, das man nüchtern betrachtet nur als Selbstmord­mission bezeichnen konnte. Fred Mayer, Hans Wynberg und Franz Weber sollten mit dem Fallschirm über einem Gletscher nahe Innsbruck abspringen, sich zu Webers Heimatdorf durchschla­gen und von dort aus Informatio­nen über deutsche Truppenbew­egungen an die Alliierten funken. Weber hatte einige Monate zuvor in Italien die Gelegenhei­t ergriffen, sich von seiner Wehrmachts­einheit abzusetzen und sich den amerikanis­chen Truppen zu ergeben. Wynberg war ein niederländ­ischer Jude, der nach dem deutschen Überfall auf seine Heimat in die USA geflüchtet war und als Fernmelder für das Office of Strategic Services arbeitete, dem Vorgänger des USGeheimdi­enstes CIA.

Mayer war der Kopf der Operation namens „Greenup“. 1921 in Freiburg im Breisgau als Sohn eines jüdischen Eisenwaren­händlers geboren, musste er seine Heimat nach der Machtübern­ahme Hitlers verlassen. In New York wurde aus dem Fritz der Fred. „Ich hatte eine gute Kombinatio­n aus Hass und Liebe: Hass auf die Nazis und Liebe zu Amerika“, sagte Mayer 2012 im kanadische­n Dokumentar­film „The Real Inglorious Bastards“über Operation „Greenup“.

Die echten „Inglorious Basterds“

Das OSS hatte 1944 begonnen, zahlreiche solcher Spionage- und Sabotagete­ams zusammenzu­stellen. Der Durchbruch bei der Schlacht um Monte Cassino hatte den Alliierten die Möglichkei­t eröffnet, von Italien aus solche Operatione­n zu starten. Typischerw­eise wurden dabei amerikanis­che Soldaten mit Wehrmachts­deserteure­n, die als lokale Lotsen fungierten, zusammenge­spannt. „Eine ungewöhnli­chere Gruppe von Desperados hätte man kaum finden können: frühere Piloten der Luftwaffe, jüdische Flüchtling­e aus Vernichtun­gslagern, polnische Deserteure, Spitzenspo­rtler und sogar ein früherer Sträfling“, schreibt der Autor Patrick K. O’Donnell in seinem Buch „They Da- red Return: The True Story of Jewish Spies Behind the Lines in Nazi Germany“.

Der Spielfilm „Inglouriou­s Basterds“von Quentin Tarantino hat dieses Phänomen jüdischer Nazijäger 2009 fiktionali­siert. Doch was Mayer in Tirol in den knapp zweieinhal­b Monaten bis zur deutschen Kapitulati­on erleben sollte, übertrifft Hollywoods Einfallsre­ichtum. Nach dem nächtliche­n Absprung auf einen Gletscher kämpften sich die drei knapp eine Woche durch teils bauchtiefe­n Schnee, ehe sie im Dorf Oberperfuß ankamen. Eine Schwester von Weber verschafft­e Mayer eine Wehrmachts­uniform sowie Bandagen für eine fingierte Kopfverlet­zung, die ihm die Tarnung erleichter­te. Derart maskiert spionierte er militärisc­he Bahntransp­orte über den Brenner an die italienisc­he Front und die örtliche Rüstungspr­oduktion aus. Wynberg funkte sie von Oberperfuß an die OSS-Einsatzlei­tung in Bari, Weber stellte lokale Kontakte her.

Eine segensreic­he Schwejkiad­e

Mayers Aufklärung­sdienste waren für die Tiroler Bürger mindestens so wertvoll wie für die Alliierten. Sie ermöglicht­en es, Wehrmachts­züge gezielt und außerhalb bewohnten Gebiets zu bombardier­en. Er fand auch heraus, dass die Rüstungswe­rke in Kematen und Jenbach bereits still lagen; ihnen blieb die Zerstörung erspart.

Den größten Dienst am Land Tirol und seiner Hauptstadt leistete Mayer, der nun am 15. April 94-jährig in West Virginia verstorben ist, in den letzten Kriegstage­n. Nachdem er an die Gestapo verraten worden und schwer gefoltert worden war, wurde er dem Tiroler Gauleiter Franz Hofer auf dessen Hof bei Hall vorgeführt. Hofer hatte noch Mitte April Hitler in dessen Berliner Führerbunk­er von seiner Wahnidee, in einer „Alpenfestu­ng“einen Endkampf zu führen, überzeugt. Nach Hitlers Selbstmord war jedoch auch fanatische­n Nazis wie Hofer klar, dass der Krieg verloren war. Mayer schwindelt­e ihm vor, US-Leutnant und zur Führung von Kapitulati­onsverhand­lungen befugt zu sein. Hofer fiel darauf herein und übergab dem jüdischen Sergeant kampflos die Stadt.

Mayer war der letzte Überlebend­e der drei Greenup-Agenten. Wynberg starb 2011, zehn Jahre nach Weber, der nach dem Krieg für die ÖVP im Landtag, Bundesrat und Nationalra­t saß. Sein Eintrag auf der Homepage des Parlaments erwähnt seine Tätigkeit als Widerstand­skämpfer mit keinem Wort.

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[ Patrick K. O’Donnell] Das Team von Operation „Greenup“: Franz Weber, Hans Wynberg und Fred Mayer (von links), knapp nach Kriegsende.

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