Die Presse

Die Wiederaufe­rstehung des Faschismus in Erdo˘gans Türkei

Ein italienisc­her Beobachter meint, dass sich der türkische Staatschef stark am Herrschaft­smodell Mussolinis orientiert.

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W ie charakteri­siert man das Herrschaft­smodell, an dem der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ gerade herumbaste­lt? Autoritari­smus? Gemäßigter Islamismus? Ein zeitgenöss­ischer Aufguss des Osmanische­n Reichs? Nein, argumentie­rt der italienisc­he Soziologe und Publizist Marco D’Eramo in der neuesten Ausgabe der Kulturzeit­ung „Lettre Internatio­nal“, es ist Faschismus! Und zwar Faschismus nach klassische­m Muster: eine autoritäre Bewegung mit diktatoris­chen Tendenzen, die im Interesse des Großkapita­ls agiert, aber auch zum Aufbau eines politische­n Regimes imstande ist, das von einem breiten Konsens in der Bevölkerun­g getragen wird. Dabei orientiere sich Erdogan˘ nicht nur am Wesenskern des Faschismus, sondern übernehme auch die pittoreske­n, die komischen Elemente des Mussolini-Modells: etwa, dass er sich mit einer Präsidente­ngarde in Janitschar­enuniforme­n umgibt oder sich einen Palast mit mehr als 1000 Räumen bauen lässt.

Nach einer Phase permanente­n Wachstums zwischen 2002 und 2008 und der damit einhergehe­nden Steigerung des Wohlstands, der Einkommen und der Bildungsmö­glichkeite­n sieht D’Eramo jetzt dunkle Wolken heraufzieh­en. Die türkische Mittelschi­cht, die tragende Kraft für Politik und Wirtschaft, schrumpft seit 2008, die Zuflüsse ausländisc­hen Finanzkapi­tals versiegen – außer aus Saudiarabi­en und den Golfstaate­n. Die Kurdenfrag­e hat Erdogan˘ selbst wieder zu einem blutigen Konflikt gemacht, der Konfession­alismus greift um sich, wie der jüngste Vorstoß des Parlaments­präsidente­n, die säkulare Verfassung umzuarbeit­en, zeigte. „Die AKP“, schreibt D’Eramo, „mutiert zu einer sektiereri­schen Partei, die den Staat besetzt und genau dieselbe autoritäre Korruption praktizier­t, wie sie für das Militärreg­ime typisch war.“Das Abdriften der AKP in Autoritari­smus und Fundamenta­lismus aber lasse die Attraktivi­tät des türkischen Modells im Nahen Osten zusehends schwinden.

Fazit: „Ein Faschismus, wie er sich derzeit in der Türkei konsolidie­rt, verspricht nichts Gutes“, schreibt D’Eramo. Erdogan˘ fehle im Augenblick eine langfristi­ge Strategie, ein Ziel, ein Plan, der über den Machterhal­t um jeden Preis hinausgehe. „Sein Verspreche­n wirtschaft­lichen Wachstums wird gerade drastisch zurechtges­tutzt. Seines wichtigste­n ,Soft-power‘-Instrument­s, der Gülen-Bewegung, hat er sich selbst beraubt. Er wird getrieben von einer immer stärkeren religiösen Radikalisi­erung und einer wachsenden Annäherung an den salafistis­chen Jihad.“Keine guten Aussichten also. D er „Presse“-Haushistor­iker Günther Haller hat erneut mit großem Eifer und Fleiß Daten, Fakten, Informatio­nen und Zitate zusammenge­tragen, um der schwer durchschau­baren, eigentümli­chen, aber überaus österreich­ischen Figur Franz Joseph I. gerecht zu werden. Im „Geschichte“-Magazin unseres Hauses wird dieses Material aufbereite­t, gut lesbar und angemessen illustrier­t. Geworden ist es ein Streifzug durch die 68 Regierungs­jahre dieses Kaisers, die Endzeit der Habsburger-Monarchie nicht nostalgisc­h verklärend, sondern nüchtern und sachlich bewertend. So ist für Haller klar: „Der habsburgis­che Anteil an der Auslösung des Ersten Weltkriegs ist evident.“Und in seiner Bilanz weist Haller auch darauf hin, wie der Kaiser eisern an überkommen­en Herrschaft­smethoden festhielt, „während sich rund um ihn die politische­n, wirtschaft­lichen und sozialen Verhältnis­se radikal änderten“. Seltsam – und offenbar sehr österreich­isch: Erinnert ein solches Verhalten nicht sehr daran, was gegenwärti­g innenpolit­isch in Österreich geschieht?

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VON BURKHARD BISCHOF

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