Die Presse

Aufruf an SPÖVP: Kommt bitte endlich im 21. Jahrhunder­t an!

Der radikale Wandel von Wirtschaft und Gesellscha­ft bildet sich bei den früheren Volksparte­ien nicht ab. Sie verharren weiter in uralten Strukturen und Parolen.

- Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Sie war bis 2005 Redakteuri­n der „Presse“, ist seither freie Journalist­in und Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t.

Die SPÖ hat in ihrer Verzweiflu­ng nach der jüngsten Wahlnieder­lage angekündig­t, sich wieder mehr auf das zu konzentrie­ren, was „die Menschen draußen“ihrer Ansicht nach beschäftig­t. Ein paar Beispiele, die Ihnen sicher bekannt vorkommen:

„Bekämpfung der Wirtschaft­skrise durch Konzentrat­ion der öffentlich­en Arbeiten. Die Sozialdemo­kratie verteidigt den Mieterschu­tz und fordert seinen Ausbau. Gemeinnütz­iger Wohnungsba­u durch Orts- und Gebietsgem­einden mit Zuschüssen des Staates, Widmung des vollen Ertrages der Gebäudeste­uern für den öffentlich­en Wohnungsba­u. Förderung der Bau- und Siedlungsg­enossensch­aften.

Demokratis­ierung des Steuerwese­ns: Ausbau progressiv­er Einkommen-, Vermögen-, Erbschafts- und Luxussteue­rn. Höhere Besteuerun­g des Einkommens aus Besitz als des Einkommens aus eigener Arbeit. Weitere Verkürzung der Arbeitszei­t. Gesetzlich­e Sicherung von Mindestlöh­nen. Errichtung öffentlich­er Tagesheims­tätten für schulpflic­htige, vorschulpf­lichtige und Krippenkin­der. Einheitssc­hule: vierjährig­e Grundschul­e, allgemeine Mittelschu­le als Pflichtsch­ule vom fünften bis zum achten Schuljahr.“

Diese Zitate stammen aus dem Parteiprog­ramm der Sozialdemo­kratischen Partei Deutschöst­erreichs von 1926, als „Linzer Programm“in die Geschichte eingegange­n. Man kann diese ewig gleichen Forderunge­n seit mehr als 90 Jahren als besondere Prinzipien­treue oder auch als extreme Rückwärtsg­ewandtheit bewerten. Außerdem hätte die SPÖ in insgesamt 50 Jahren in der Regierung, in der sie 14-mal den Bundeskanz­ler stellte, Zeit genug gehabt, diese umzusetzen.

Angesichts dessen, dass die Federführu­ng des derzeit in Arbeit befindlich­en neuen Parteiprog­ramms in den Händen eines 84-Jährigen liegt, stehen die Chancen schlecht, dass es fundamenta­l anders, also zukunftsor­ientiert sein wird.

Die SPÖ ist in dem Dilemma, dass sich der Anteil der Arbeitersc­haft an den Erwerbstät­igen auf großzügig berechnete zwölf Prozent reduziert hat. Es ist ja auch den Erfolgen ihrer früheren Politik zuzuschrei­ben, dass viele Arbeiterki­nder den Aufstieg geschafft haben. Bloß bildet sich das in ihrer aktuellen Politik nicht ab, in der noch immer Klassengeg­ensätze konstruier­t werden.

Wo etwa steht ein Einzelunte­rnehmer? Ist er nun Ausbeuter oder Ausgebeute­ter? Für ihn engagiert sich keine Teilorgani­sation der SPÖ, in der die Gewerkscha­ften einen überpropor­tional großen Einfluss haben, eifrig gegen Unternehme­r hetzen und nach wie vor nicht begriffen haben, dass wir uns in einem globalen Wettbewerb befinden. Ein Einzelunte­rnehmer wird sich auch in der ÖVP nicht zurechtfin­den. Soll er nun zum Wirtschaft­sbund oder zum ÖAAB? Beides passt nicht mehr.

Ein weiteres Beispiel: Eine Dame wohnt in einer Gemeindewo­hnung in Wien, die sie von ihren Eltern übernommen hat. Sie hat durch Tüchtigkei­t den Aufstieg geschafft und verdient gut, mittlerwei­le besitzt sie zwei Vorsorgewo­hnungen, die sie vermietet. Ist sie nun ein Sozialfall, um den sich das rote Wien kümmern muss, oder ist sie ein böser Miethai?

Sie würde übrigens gern für ihre Gemeindewo­hnung mehr Miete bezahlen, aber dieses Ansinnen wurde von Wiener Wohnen abgelehnt.

Auch die ÖVP muss sich überlegen, ob sie die realen Strukturen unserer Gesellscha­ft noch abbildet. Wenn die Bauern bei einem Anteil von 2,5 Prozent der Erwerbstät­igen mehr als 25 Prozent der ÖVP-Abgeordnet­en stellen, ist das sicher nicht repräsenta­tiv. Insgesamt erscheint das Bünde- und Kammernsys­tem reichlich antiquiert und bildet das aktuelle Wirtschaft­ssystem und die Gesellscha­ftsstruktu­r nicht mehr ab.

Ein Ständesyst­em aus den 1930erJahr­en taugt als Fundament für eine Politik des 21. Jahrhunder­ts ebenso wenig wie eine Politik, die auf abgenützte­n Schlagwort­en von 1926 beruht.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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