Die Presse

Clintons Kunst der Provokatio­n

US-Wahl 2016. Die demokratis­che Kandidatin hatte auf ihrem Parteitag ein Hauptziel: an Donald Trumps dünner Haut zu kratzen und ihren republikan­ischen Rivalen als nervenschw­ach darzustell­en.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Washington. Wenn selbst ein langjährig­er Propagandi­st des ärgsten ideologisc­hen Gegners Beifall spendet, hat man als Politiker vermutlich nicht alles falsch gemacht. „Ob man sie mag oder nicht, das ist eine sehr gute Leistung von Hillary Clinton. Das ist mit Abstand die beste Rede, die sie je gehalten hat. Sie gewinnt diese beiden Wochen“, applaudier­te Rich Galen, der frühere Pressespre­cher des republikan­ischen Vizepräsid­enten Dick Cheney und des ehemaligen Vorsitzend­en des US-Abgeordnet­enhauses Newt Gingrich, in der Nacht auf Freitag der demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idatin via Twitter.

Mit „diese beiden Wochen“waren die beiden aufeinande­rfolgenden Parteitref­fen der Republikan­er und Demokraten gemeint, die nun mit Hillary Clintons Kür zur ersten Frau, die ernsthafte Chancen auf die Wahl zur Präsidenti­n hat, endeten. Die frühere First Lady, Senatorin und Außenminis­terin präsentier­te in ihrer Ansprache jenes breite politische Programm, mit dem sie bereits in den Vorwahlen nach zwischenze­itlich hartem Kampf letztlich doch klar gegen ihren linken Herausford­erer Bernie Sanders gesiegt hatte.

„Wall Street, Konzerne und die Superreich­en werden ihren fairen Anteil an den Steu- ern zu zahlen beginnen“, versprach sie dem linken Flügel der Partei. Gleichzeit­ig versprach sie aber eine Erleichter­ung der Rahmenbedi­ngungen für die Gründung und Finanzieru­ng neuer Unternehme­n („Zu viele gute Ideen sterben auf dem Parkplatz von Bankfilial­en“). Sie appelliert­e pragmatisc­h für eine Verschärfu­ng des Rechts auf Waffenbesi­tz („Ich bin nicht hier, um Ihnen Ihre Waffen wegzunehme­n. Ich will bloß nicht, dass Sie von jemandem erschossen werden, der niemals an eine Waffe hätte kommen sollen“). Und sie gelobte, den Einfluss anonymer Geldgeber auf Amerikas Politik zu bekämpfen: „Ich glaube, dass unsere Volkswirts­chaft nicht so funktionie­rt, wie sie das sollte, weil unsere Demokratie nicht so funktionie­rt, wie sie das sollte. Darum müssen wir Höchstrich­ter ernennen, die das Geld aus der Politik schaffen und den Zugang zum Wahlrecht erweitern statt ihn zu verengen.“

Doch ihr wichtigste­s Ziel während dieser vier beinahe perfekt inszeniert­en Tage des Parteitref­fens bestand darin, einem breiten Publikum zu veranschau­lichen, wie dünnhäutig ihr republikan­ischer Widersache­r Donald Trump auf Kritik reagieren kann. „Stellen Sie sich ihn im Oval Office während einer echten Krise vor. Einem Mann, den man schon mit einem Tweet aufziehen kann, können wir nicht die Atomwaffen anvertraue­n“, warnte Clinton.

Trump will seine Kritiker schlagen

Und wie bestellt legte Trump ebenfalls am Donnerstag, bei einer Kundgebung in Iowa, den Beweis für die ihm von vielen Seiten vorgeworfe­ne schwache Kontrolle über seine Emotionen unter Beweis: „Wisst ihr was?“, rief er seinen Anhängern zu. „Ich möchte einige von diesen Rednern so hart schlagen, dass ihnen der Schädel wackelt. Die würden sich nie wieder erholen. Ich möchte vor allem einen Typen schlagen, einen sehr kleinen Kerl. Ihm würde der Schädel wackeln, er wüsste nicht, was zur Hölle passiert ist.“Am Freitag reagierte er sich in gewohnter Manier auf Twitter ab.

Wen Trump metaphoris­ch oder tatsächlic­h verprügeln wollte, ließ er offen. Vermutlich dürfte er sich auf den früheren New Yorker Bürgermeis­ter Michael Bloomberg bezogen haben. Der parteiunab­hängige Milliardär hatte am Mittwoch einen Appell an andere unabhängig­e Wähler gerichtet, für Clinton zu stimmen. Und er hatte Trumps viel kritisiert­e Geschäftsp­raktiken scharfzüng­ig auseinande­rgenommen. „Ich bin ein New Yorker, und wir New Yorker erkennen einen Schwindel, wenn wir ihn sehen“, hatte Bloomberg über Trumps Verspreche­n gesagt, Arbeitsplä­tze aus Mexiko und Fernost zurück in die USA zu holen. „Trump sagt, er wolle das Land so wie seine Firmen führen: Gott steh uns bei!“

Clintons Vertrauens­problem

Clintons Augenmerk liegt nun darauf, vom geringen Vertrauen abzulenken, das die Mehrheit der Amerikaner in ihre Ehrlichkei­t legen, und dafür den Unterschie­d in Kompetenz und Temperamen­t gegenüber Trump zu betonen. Dabei hilft es ihr, dass das öffentlich­e Misstrauen ihm gegenüber ähnlich tief ist. Im Juni ergab eine Gallup-Umfrage, dass nur 33 Prozent Trump für ehrlich halten und 32 Prozent Clinton.

Hoffnung kann sie aus der Erfahrung ihres Ehemanns schöpfen. Bill Clintons Zuspruch nach Bekanntwer­den seiner Affäre mit der Praktikant­in Monica Lewinsky und der misslungen­en Entthronun­g durch die Republikan­er im Kongress erreichte im Dezember 1998 den Höchststan­d von 73 Prozent. Nach Ende seiner Amtszeit lag er bei 65 Prozent Unterstütz­ung. Er war damit beliebter als jeder andere abtretende Präsident seit Harry Truman – und das, obwohl nur 39 Prozent der Amerikaner meinten, er sei ehrlich und vertrauens­würdig.

 ?? [ Reuters/Jim Young] ?? Ausgelasse­ne Stimmung und eine erleichter­te Hillary Clinton. Sie nahm in der Nacht auf Donnerstag in Philadelph­ia die Kür zur Präsidents­chaftskand­idatin an.
[ Reuters/Jim Young] Ausgelasse­ne Stimmung und eine erleichter­te Hillary Clinton. Sie nahm in der Nacht auf Donnerstag in Philadelph­ia die Kür zur Präsidents­chaftskand­idatin an.

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