Die Presse

Verzögerun­g? Ja, aber mit Nebenwirku­ngen

Analyse. Das Buwog-Verfahren um Karl-Heinz Grasser und Co. führt plötzlich in eine unerwartet­e Richtung.

- VON MANFRED SEEH

Verzögerun­gstaktik? Mag sein. Strategisc­hes Vorgehen mit der leisen Hoffnung auf Erfolg? Das sicher. Es geht um Karl-Heinz Grassers jüngsten Coup. Man könnte (neutral) auch von Schachzug sprechen. Aus Sicht des Ex-Finanzmini­sters ist es das Ausschöpfe­n aller – auch ungewöhnli­cher – (Rechts-)Mittel.

Coup? Schachzug? Die Rede ist vom überrasche­nd angekündig­ten Gang vor den Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH), mithin vor die gekonnt würdevoll in Schwarz und Violett auftretend­en Rechtshüte­r, deren Bilder man noch von der Anfechtung der Bundespräs­identenwah­l in Erinnerung hat. Diese mögen, so Grassers Ansinnen, einen Punkt der Strafproze­ssordnung aufheben.

Was hat das alles mit dem Strafproze­ss um die Buwog-Privatisie­rung zu tun – also mit dem seit sieben Jahren laufenden Korruption­sverfahren (Vorwürfe: Untreue, Geschenkan­nahme) gegen Grasser und 15 andere Beschuldig­te?

Das ist schnell erklärt. Nach langen sieben Jahren Vorverfahr­en hat die Korruption­sstaatsanw­altschaft vor Kurzem eine Anklagesch­rift präsentier­t. Eigentlich hat sie diese „nur“den Angeklagte­n zustellen lassen, aber seither spricht ganz Österreich darüber.

Von der „Ewigkeit“zur Zeitnot

Eben diese Angeklagte­n haben 14 Tage Zeit, Einsprüche gegen ihre Anklage zu erheben. Ist doch fair, dass es überhaupt so ein Rechtsmitt­el gibt, möchte man meinen. Eh, aber da in Sachen Buwog nichts ist, wie es sonst ist, hat auch dieser Vorgang einen Haken: Die Anklagesch­rift hat stolze 825 Seiten. Diese in zwei Wochen studieren plus Einspruch schreiben – da wird die Zeit knapp.

Unzumutbar knapp, sagt Grassers Anwalt, Manfred Ainedter. Zweifler könnten einwenden, dass man mit einem Anklage-Einspruch den Prozess sowieso nicht abwenden kann. Man kann „nur“etwaige rechtliche Fehler aufzeigen. 14 Tage also, so steht es im Gesetz (§ 213 StPO) – daher verstoße diese Norm gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren, sagen Grasser und Anwalt. Konsequenz: Ein knapp gehaltener Anklage-Einspruch wird nun eingebrach­t, gleichzeit­ig wird das zuständige Strafgeric­ht ersucht, den Gang vor den VfGH anzutreten. Kommt das Gericht dieser Anregung nach und beginnt der VfGH zu prüfen, heißt das fürs Strafverfa­hren: Stillstand. „Mindestens ein halbes Jahr“, sagt Verfassung­srechtler Bernd-Christian Funk zur „Presse“. Mindestens.

Gibt der VfGH Grasser recht, muss die StPO erst repariert werden, ehe es weitergeht. Blitzt Grasser ab, kann erst die Prüfung seines Anklage-Einspruchs durch das Oberlandes­gericht Wien beginnen. Auch das dauert Monate.

Bleibt noch diese Variante: Das Straflande­sgericht kommt der Anregung, den VfGH einzuschal­ten gar nicht nach. Dann bleibt immer noch ein Ausweg: Grasser kann (und wird) sich mit einer sogenannte­n Individual­beschwerde an die ehrwürdige­n Verfassung­shüter wenden. Problem: Eine Individual­beschwerde hat keine aufschiebe­nde Wirkung. So richtig anspruchsv­oll würde es werden, wenn der Buwog-Prozess schon läuft und mitten hinein platzt die Nachricht: „Grassers Individual­beschwerde hatte Erfolg.“Was dann passiert? „Dies hängt von der inhaltlich­en Entwicklun­g des Strafverfa­hrens ab“, sagt Funk. Kurzum: Diese kühne Version ist aus heutiger Sicht sehr schwer abschätzba­r.

Die Außen- und die Innensicht

Warum das alles? Warum sich der quälend-langwierig­en Sache nicht endlich stellen? Aus Sicht des Publikums drängen sich diese Fragen zwangsläuf­ig auf. Aber aus der Warte einer um jeden Zentimeter kämpfenden Angeklagte­nriege zählt jeder Teilerfolg. Also verlagert man das Geschehen legitimerw­eise dorthin, wo Teilerfolg­e noch möglich scheinen. Ja, ein Rechtsstaa­t lässt sich an seine Grenzen treiben. Wer dies tut, riskiert – Motto: „Alles oder nichts!“Der Rechtsstaa­t hält das aber in aller Regel aus.

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