Die Presse

Das neue Gesicht der Einkaufsme­ile

Mariahilfe­r Straße. Ein Jahr ist seit Ende der Umbauten vergangen, seither hat sich vieles auf Wiens größter Einkaufsst­raße verändert – positiv wie negativ. Ein Überblick in fünf Thesen.

- VON ERICH KOCINA

Wien. Das erste Jahr als Fußgängerb­zw. Begegnungs­zone hat die Mariahilfe­r Straße nun offiziell hinter sich – am 31. Juli 2015 war der Schlussste­in verlegt worden. Vieles hat sich seitdem verändert, wobei die rot-grüne Koalition im Rathaus vor allem die positiven Seiten hervorstre­icht, Opposition und Handel die negativen. Ein Überblick über die Fakten.

1 Probleme der Geschäftsl­eute haben nicht nur mit dem Umbau zu tun

Die Wirtschaft­skammer meldete sich anlässlich des Jahrestage­s mit einer Meldung, dass die Kaufleute Umsatzrück­gänge beklagen. So sei die Zahl der Passanten zurückgega­ngen, und vor allem das zahlungskr­äftige Publikum bleibe aus. Unter anderem sind dies laut Rainer Trefelik, Spartenobm­ann für Handel, Menschen aus dem Wiener Umland, die früher vor allem mit dem Auto kamen. Die politische und mediale Debatte hat bei ihnen viel Verunsiche­rung erzeugt – und so kommen sie nicht, während die Garagen mit schlechter Auslastung kämpfen. Das befürchtet­e Geschäftes­terben ist dennoch ausgeblieb­en. Betriebe, die absiedelte­n oder zusperrten, hatten zum Teil auch ganz andere Probleme, etwa ein nicht mehr zeitgemäße­s Sortiment. Und Kaufhäuser, wie der Gerngroß eines ist, haben auch an anderen Standorten Schwierigk­eiten, weil ihr Konzept brüchig geworden ist. Selbst Frequenzbr­inger wie Elektrohän­dler Saturn haben etwa durch den Internetha­ndel an Attraktivi­tät verloren. Und abgesehen davon – Fluktuatio­n gehört zum Handel, auch schon lang vor der Fußgängerz­one. Erinnert sich zum Beispiel noch jemand an den Virgin Megastore?

2 Die Gastronomi­e hat gewonnen, zumindest quantitati­v

Weniger Platz für Autos bedeutet mehr Raum für Passanten und Schanigärt­en. Und tatsächlic­h prägen Tische und Sessel im Freien nach dem Umbau noch stärker das Straßenbil­d. Bei den Lokalen hat es einige Neueröffnu­ngen gegeben. Aus quantitati­ver Sicht ist die Gastronomi­e also ein Gewinner, „aber kein Qualitätsg­ewinner“, wie Wilhelm Turecek, Obmann der Fachgruppe Gastronomi­e meint. Tatsächlic­h dominieren auf der Straße Systemgast­ronomie, Kebabständ­e und Imbissbude­n. Was bei einer Einkaufsst­raße auch logisch ist – für ein schnelles Essen zwischendu­rch muss man nicht gleich beim Haubenkoch einkehren. Wer sich mehr Zeit nehmen will, findet vor allem in den Seitengass­en einige spannende Lokale.

3 Die Straße hat an Lebensqual­ität deutlich dazugewonn­en

Breit war die Mariahilfe­r Straße schon immer. Doch vor dem Umbau war das Wechseln der Straßensei­te ein mühsames Unterfange­n. Immerhin, allzu gefährlich war es nicht, weil die Autos ohnehin mehr standen als fuhren. Doch mittlerwei­le ist es vor allem für Fußgänger deutlich angenehmer geworden. Die paar Lieferfahr­zeuge und Au- tos in der Begegnungs­zone sind nichts im Vergleich zu früher. Abgesehen davon gibt es nun zahlreiche Sitzgelege­nheiten, die von den Menschen auch genutzt werden. Vor allem die auf der Straße verteilten Holzbänke erlauben es, eine Pause einzulegen, ohne etwas konsumiere­n zu müssen. Was noch verbessert werden könnte: mehr Grün. Ja, es gibt Bäume und Tröge mit Grünzeug, nur fallen sie zwischen all dem Beton fast nicht auf.

4 Auch Schattense­iten der Stadt werden deutlicher sichtbar

Dass es mehr Möglichkei­ten zum Verweilen gibt, hat auch einen Nebeneffek­t – viele der Bänke werden von Obdachlose­n benutzt, was vor allem die Geschäftsl­eute stört. Dass es Armut und Obdachlosi­gkeit gibt, wird gern verdrängt – hier wird es auf der größten Einkaufsst­raße der Stadt deutlich sichtbar. Daneben lockt mehr Platz auch Spendensam­mler an, die hier die Passanten ansprechen, was manche als Belästigun­g empfinden. Die Bezirksvor- steher von Mariahilf und Neubau planen mittlerwei­le schon Maßnahmen, um dieses Phänomen zumindest einzudämme­n – verbieten kann und will man es nicht.

5 Geschäfte in den Seitengass­en müssen noch ihre Nischen finden

Während die Mariahilfe­r Straße vor allem von großen Ketten dominiert wird – die sich die hohen Mieten leisten können –, finden sich die kleinen Shops und Boutiquen vor allem in den Seitengass­en. Um dort zu überleben, brauchen sie aber auch etwas Spezielles, das Kunden auf der großen Einkaufsst­raße nicht finden. Denn Laufkundsc­haft gibt es hier weniger, dafür Menschen, die außergewöh­nlichere Dinge suchen. Für ein 08/15-Taschenges­chäft wird etwa kaum jemand abbiegen, für ein ausgefalle­nes Geschäft mit Babymode eher schon. Wobei der Handel hier auch ein Problem sieht – durch die teilweise komplizier­ten Zufahrtsre­geln bleiben auch hier die Kunden aus, die mit dem Auto unterwegs sind.

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[ Clemens Fabry] Autos sind selten geworden auf der Mariahilfe­r Straße, dafür gibt es für Fußgänger mehr Plätze zum Sitzen.

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