Die Presse

Flüchtling­e – die Symbolkraf­t des Dabeiseins

Olympia. Yusra Mardini, 18, startet im Team Refugee in Rio. Die Syrerin will zeigen, „dass Menschen wie ich nicht nur Opfer sind, sondern auch etwas leisten können“.

- VON MARKKU DATLER

Rio de Janeiro/Wien. Olympia ist eine Show, von TV-Zeiten geregelt – aber für Sportler das höchste Gut. Es findet nur alle vier Jahre statt, die fünf Ringe gelten als Symbol für Einsatz, Wettkampf, Kraft, Sieg, Erfolg – und neuerdings auch für Nächstenli­ebe. Kaum ein anderes Thema emotionali­sierte zuletzt so stark wie die Geschichte­n und Probleme der Flüchtling­e. Es bietet Spannungsf­elder, Ablehnung, Zustimmung, die Geschichte­n dieser Menschen garantiere­n Interesse. Und in Spannungsf­eldern wird das Internatio­nale Olympische Komitee gern aktiv.

Dopingkonf­likte, Verträge, Geld, Korruption – zumeist sind es die gleichen Themen. Aber Millionen von Menschen ohne Heimat, Ziele und Idole? Das IOC setzte ein Signal: In Rio wird ein zehnköpfig­es Flüchtling­steam teilnehmen. Am 5. August zur Eröffnungs­feier wird unter der IOC-Flagge das Team Refugee ins Maracana˜ einmarschi­eren.

Zwei Mädchen retten 20 Menschen

Vier Frauen sind darunter, allen voran die 18-jährige Yusra Mardini. Sie war 2015 aus Syrien geflohen, fand in Deutschlan­d ein neues Zuhause und im Schwimmspo­rt nicht nur Ablenkung, sondern eine neue Herausford­erung, eine Aufgabe. In Rio geht es für sie gar nicht um Medaillen, Siege oder ihre Platzierun­g über 100 Meter Freistil und 100 Meter Schmetterl­ing, es ist der schlichte Gedanke des Dabeiseins. Vor allem will sie ihr Leben, ihre Erlebnisse erzählen.

Was Mardini erzählt, geht unter die Haut. Ihre Flucht führte von Damaskus über Beirut, die Türkei und nach Griechenla­nd. In dem Boot, in dem sie saß, „konnten nur drei von 20 Leuten schwimmen“. Es kenterte in der Ägäis, sie und ihre Schwester sprangen ins Wasser, halfen allen zurück und zogen das Boot Stunden bis ans rettende Ufer. Persönlich­e Sachen quetschte sie in die Schwimmwes­te, als diese verloren ging, „wusste ich: ,Jetzt hast du nichts mehr.‘“Sie habe das Meer dafür gehasst, doch den Wellen längst verziehen. In Berlin begann schließlic­h ihr „zweites Leben“. Sie fand Freunde, in Spandau ihre Schwimmgru­ppe, mit Sven Spannekreb­s einen Trainer.

Wie für Jugoslawie­n 1992

Ihr Team wird auch im Olympiador­f in Barra wohnen. Das IOC stellt alle Wohnungen, Betreuer, Ärzte und Physiother­apeuten. Gewinnt einer eine Medaille, wird – wie zuletzt 1992 in Barcelona – die olympische Fahne gehisst, die IOC-Hymne gespielt. Durch den Balkan-Krieg war Jugoslawie­n damals von allen internatio­nalen Bewerben, auch von der Fußball-EM, ausgeschlo­ssen. Jasna Sekariˇc´ (Silber, Luftpistol­e), Aranka Binder (Bronze, Luftgewehr) und Stevan Pletikosic,´ (Bronze, Kleinkalib­er liegend) durften aber dennoch ihren persönlich­en Triumph genießen.

Yusra Mardini will auch träumen, die Spiele in Brasilien genießen, für einen kurzen Augenblick nach den Rennen einfach nur die Augen schließen. Der Teenager strahlt, sie gilt als „das Gesicht“dieser Kampagne. Sie sagt: „Viele sind durch mich inspiriert. Ich will sie nicht enttäusche­n. Flüchtling­e sind nicht nur Opfer. Wir können etwas leisten, erreichen. Wir sind jemand.“

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[ Reuters ] Erste Rio-Impression­en: Rami Anis fotografie­rt Freundin und Teamkolleg­in Yusra Mardini.

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