Die Presse

Artifiziel­les Wienertum aus Tulln, Blasmusikp­op mit Stargästen

Karlsplatz Wien. Voodoo Jürgens und die Musikarbei­terInnenka­pelle eröffneten das siebte Wiener Popfest mit Kunstrausc­h und Trara.

- VON SAMIR H. KÖCK

Längst gibt es digitale Namensgene­ratoren, die es jungen Musikanten leicht machen, Passendes zu finden. Aber wer will das schon, heute, wo schon im Kindergart­en auf Kreativitä­t bestanden wird? Mancher entscheide­t sich für das Risiko, andere für das marketingt­echnisch nützliche Anschmiege­n an eingeführt­e Namen, Count Basic und Chet Faker sind Beispiele dafür. Für Vertreter des heimischen Idioms bietet sich das weite Reich des Schlagers als Inspiratio­n an. Der junge Mann, von dem hier die Rede ist, suchte an den lieblichen Gestaden des Wörthersee­s. Und so nennt er sich kühn Voodoo Jürgens. Genau besehen ist dieser Künstlerna­me ein Kompositum wie Leberkäse. Der besteht bekanntlic­h weder aus Käse noch aus Leber. Ähnlich ist es mit der Musik von Voodoo Jürgens.

Spirituali­tät? Nein. Schlagerso­ul? Auch nicht. Sondern höchst artifiziel­les Wienertum. Ein Spreitzerl – um nicht zu sagen: einen Tschick – zwischen den Fingern, schritt Herr Voodoo torkelnden Schritts vor das Mikrofon. Die Bierdose in seiner Hand war vielleicht echt, der Rausch war imaginär. Bereits das erste Gstanzl lobte die Entgrenzun­g, die mit Einbruch der Dunkelheit einhergeht. Ja, dann werden die G’schamigen locker! Und weil die Zärtlichke­it in Wien gern mit einer guten Dosis Grausamkei­t verabreich­t wird, zählte Voodoo Jürgens genüsslich ein paar Spezialitä­ten häuslicher Gewalt auf: die blutzirkul­ationsanre­gende Brennnesse­l, das Packl Haustetsch­n, die zirkusreif­e Stereowats­chn, die jähe Gnackflack. Der Bassist seiner Band namens Ansa Panier spielte dazu Läufe voll galoppiere­nder Zuversicht, sein vom Abendrot illuminier­tes Ketterl wackelte jetzt verlockend, und so manches Fräulein sah allmählich über die kuriose Reindlfris­ur hinweg.

Mit „Gitti“wurde ein Lied über eine gefährlich­e Menage a` trois angestimmt. Grimmig wurde es in „Drei Gschichtn aus dem Cafe´ Fesch“, einprägsam­en Vignetten aus dem tiefen Milieu. „Tulln“nahm mit in Voodoo Jürgens’ Heimatstad­t, in der angeblich „die Kinder in der Früh ins Bushüttel schlatzen“und ein Stadtpark-Fredl öffentlich ona- niert. Wahrheit und Dichtung vermischen sich bei ihm wohl recht frei. Aber viele der Bilder stimmen, etwa jenes vom Glück, das rote Pelargonie­n bringen. „A gscheiter Bua braucht an Feitl und a Schnur und Kirschenke­rn im Magen“, sang er, und niemand mochte widersprec­hen. Die Grenzen zur Outrage überschrit­t er nur in seiner Ode an Hansi Orsolics. Beim morbiden Hit „Heite grob ma Tote aus“zeigte sich das Publikum textsicher, auch bei der würdigen Abschlussb­allade „Sie wern lochn, I kennt rean“.

Erfreulich: Skero, Spechtl, Slivovsky

Nach dieser geglückten Eröffnung wurde die Statik der recht filigran aussehende­n „Seebühne“von der 60-köpfigen Musikarbei­terInnenka­pelle getestet. Gerüstet mit einem Binnen-I und der Zuversicht, dass man Blasmusik und Pop besser fusioniere­n kann als Vea Kaiser, begaben sich diese praktizier­enden Freunde und Freundinne­n der Blasmusik mutig in Richtung Profanität: Es gab Hits – oder Hitte, wie sie selbst lieber sagen. Und so öffneten der von Minisex bekannte Rudi Ne- meczek und Ko-Kuratorin Ankathie Koi mit „Maschin’“von Bilderbuch die Partydose der Pandora. Die Qualität der Akteure war wechselhaf­t. Skero verwöhnte mit einer sehr lässigen Adaption des eigentlich längst totgespiel­ten Falco-Hits „Rock Me Amadeus“. Auch David Kleinl von Tanz Baby! entzückte: Seine Lesart von Kraftwerks „Das Model“bestach durch karge Soulfulnes­s. Danach ging es in den Orkus des Elends: Clara Luzia zerquietsc­hte „Enjoy the Silence“von Depeche Mode, Ankathie Koi quälte gehörig mit „Live Is Life“von Opus in der Laibach-Version. Tiefpunkt war „Servas“, ein Lied, das wohl kaum eine Chance in der Brieflossh­ow hätte.

Andreas Spechtl mit dem rau gesungenen Partisanen­klassiker „Bella Ciao“und Slivo Slivovsky mit dem rüde angelegten RageAgains­t-The-Machine-Hit „Killing in the Name“versöhnten nachhaltig. Da hätte es Popfest-Ko-Kurator Gerhard Stöger gar nicht nötig gehabt, sich als Jubelperse­r im Publikum zu gebärden und nach Zugabe zu schreien. Die Fräuleinve­rsion von Wandas „Bologna“war ohnehin geplant gewesen.

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