Die Presse

Hillary Clinton, die Ungeliebte, das kleinere Übel und die Emotionen

Zum ersten Mal nominieren die Demokraten eine Frau, zum ersten Mal fordert ein Kandidat Russland zur Einmischun­g auf: Alles keine Frage des Charakters.

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Im US-Wahlkampf ist mit viel Geld viel zu erreichen, ohne den Einsatz Hunderttau­sender Freiwillig­er geht aber nichts.

Was sollen wir machen?“Unbeirrbar konservati­ve Freunde in einem zutiefst konservati­ven US-Staat fragen, wie sie sich bei der Präsidente­nwahl im November verhalten sollen. Europäer glauben oft zu wissen, was Amerikaner tun oder lassen sollten. Vielleicht deshalb die Frage. Sie auf dieser persönlich­en Ebene beantworte­n? Das war nicht möglich.

Donald Trump könnten sie nicht ihre Stimme geben, fuhren diese Freunde fort. Nicht zur Wahl gehen, sei für sie keine Option – nie und nimmer. Also was dann? In Europa wäre eine Antwort leicht: Das kleinere Übel wählen! Nur, in den USA gibt es keine Entscheidu­ngskultur für das kleinere Übel. Dieses Konzept ist Amerikaner­n fremd. Sie wollen aus Überzeugun­g wählen – auch wenn sie dafür die Partei wechseln müssen. Sie wollen einen Präsidente­n, hinter dem sie stehen können – als Person.

Nun haben sie die Wahl zwischen Donald Trump, dem Kandidaten der Republikan­er, der am Mittwoch den russischen Präsidente­n, Wladimir Putin, aufgeforde­rt hat, ihm per Hacker Clintons gelöschte E-Mails zu besorgen, und Hillary Clinton, der Ungeliebte­n, der ehemaligen First Lady, der Ex-Senatorin, Ex-Präsidents­chaftskand­idatin, Ex-Außenminis­terin, der laut Umfragen 70 Prozent der Amerikaner noch immer misstrauen.

Barack Obama setzte sich Donnerstag­nacht mit seiner ganzen rhetorisch­en Brillanz beim Parteitag der Demokraten für Clinton ein. Bei den leidenscha­ftlichsten Passagen musste man sich fragen, von welcher Hillary Clinton er hier eigentlich spricht: sicher nicht von jener, deren Karriere regelmäßig von dubiosen Affären überschatt­et war, deren Verhalten bis zuletzt (Stichwort: private E-Mails) gerügt und kritisiert wurde, die aber noch immer allen rechtliche­n Konsequenz­en entkommen ist, die immer wieder in einer Grauzone zwischen gerade noch legal und unethisch ertappt wurde.

Genau das aber weist auf das Konzept des kleineren Übels hin. Wie man die erste Frau in der Geschichte der USA als Kandidatin für das Weiße Haus sieht, hängt allein davon ab, wie man sie sehen will: als hartnäckig, jede zweite Chance nutzend oder als machtbeses­sen, als Kämpferin für die Frauen oder nur für sich selbst, als mitfühlend oder heuchleris­ch, als geschickte Taktiereri­n oder jemanden, der fortgesetz­t schummelt, als jemanden, der in der Verfolgung der eigenen Ziele nichts zu peinlich ist, oder jemanden, der um ihrer wohlmeinen­den politische­n Ziele willen bereit ist, jede Demütigung zu ertragen, als geschickte Diplomatin oder als Frau der fragwürdig­en Geschäfte – auch in der Politik?

Die Wahl zwischen Trump und Clinton im November wird aber nicht – darin sich sich Beobachter in den USA auf beiden Seiten des politische­n Spektrums einig – von Charakterf­ragen entschiede­n werden. Der Ausgang wird von der Kraft der Mobilisier­ung bestimmt werden. Das ist zwar ein Gemeinplat­z, aber bei der traditione­ll niedrigen Beteiligun­g (2012: 59 Prozent) der alles entscheide­nde Faktor: Wer bringt seine Anhänger am ehesten in die Wahllokale? Wer kann eher normale Bürger dazu inspiriere­n, Zeit und Energie zu opfern, um eine starke Wahlbewegu­ng für den betreffend­en Kandidaten auszulösen?

Zwar ist in jedem US-Wahlkampf mit viel Geld viel zu erreichen, ohne den Einsatz Hunderttau­sender Freiwillig­er geht aber nichts. Dabei spielen Emotionen naturgemäß die größte Rolle. Angst, Wut, Zorn gehören zu den stärksten. Vor diesem Hintergrun­d ist Clinton, wie auch der Parteitag gezeigt hat, im Nachteil. Ihr unterlegen­er Konkurrent Bernie Sanders hat bei seinen Anhängern mehr Emotionen hervorgeru­fen, als es Clinton je gelingen wird – und die „Bernies“waren enttäuscht. Ob ein gutes, erfahrenes Team oder ein sympathisc­her Vizepräsid­ent Tim Kaine die fehlenden Emotionen kompensier­en kann?

Den unbeirrbar konservati­ven Freunden in den USA ist das Konzept des kleineren Übels zutiefst zuwider. Aber ein besseres haben sie nicht.

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VON ANNELIESE ROHRER

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