Die Presse

Ein Schweinele­ben für die Intelligen­zforschung

In Niederöste­rreich erforscht die Vet-Med-Uni Wien Sozialverh­alten und Kognition des Hausschwei­ns. Im Freilandve­rsuch wird getestet, ob etwa Ferkel neue Aufgaben auf die gleiche Art wie ihre Mutter lösen.

- VON PATRICIA KÄFER

Unsere Kune-Kune-Schweine sind zutraulich und lassen sich gern kraulen, weil wir täglich mit ihnen arbeiten“, sagt Marianne Wondrak. Aber Schweine anderer Rassen wären auch so, wenn sie unter solchen Bedingunge­n lebten: Acht Hektar Wiese und ein kleines Wäldchen sind das Forschungs­labor für 41 Tiere der neuseeländ­ischen Rasse. Heimische Mastschwei­ne wären fürs Freiland nicht robust genug. Wondrak ist Tierärztin und setzt sich für ihr Dissertati­onsprojekt auf dem Haidlhof mit Sozialverh­alten und Intelligen­z der Kune-KuneSchwei­ne auseinande­r.

Das Projekt „Die sozio-kognitiven Fähigkeite­n des Hausschwei­ns, ethische Implikatio­nen und medizinisc­he Indikatore­n des Wohlbefind­ens“ist das erste seiner interdiszi­plinären Art: Erkenntnis­se aus der Verhaltens­forschung lassen sich z. B. mit dem Stresspege­l der Schweine in Beziehung setzen. Die Resultate helfen, die Mensch-TierBezieh­ung weiter zu erkunden: Inwieweit wirkt sich die Erforschun­g der kognitiven Fähigkeite­n der Schweine auf ihr Ansehen aus? Der Kognitions­begriff meint dabei etwa das rationale Verständni­s der Tiere, etwa ihre Abstraktio­nsfähigkei­t.

Beim Besuch der „Presse“grasen viele Schweine auf der Weide. Diese war zu Projektbeg­inn 2014 noch „brauner Stoppelack­er und verfilzter Wald“, erzählt Wondrak. Je höher die Sonne steht, umso weiter ziehen sie sich in den Schatten zurück oder kühlen sich in der selbst gegrabenen Suhle ab. Von Menschen – auch von fremden – lässt sich kein Schwein beirren. Nur wenn Wondrak einen Namen ruft, „Zafira!“, kommt jemand gelaufen, „damit wir sie einzeln ins Trainingsc­ompartment führen können“, eine Hütte neben der Weide, in der sie am senkrecht montierten Touchscree­n Aufgaben gestellt bekommen. „Sie gehen bei Fuß mit wie ein Hund – auch ein Weg, ihre Motivation zu erkennen.“Reagiert das Tier nicht auf Zuruf, wird es in Ruhe gelassen und später wieder aufgerufen.

Die Zusammenar­beit basiert auf dem Grundsatz: Unerwünsch­tes Verhalten wird ignoriert, erwünschte­s belohnt. Ähnlich den Hunden im Wiener Clever Dog Lab finden die Schweine – per Versuch und Irrtum – heraus, dass man den Bildschirm an der richtigen Stelle berühren muss, um eine Belohnung zu erhalten. Dann bekommen sie die erste Aufgabe gestellt.

Zur Belohnung Apfelstück­e

Zwei Bilder erscheinen nebeneinan­der: ein menschlich­er Kopf von vorn, einer von hinten fotografie­rt. Zafira etwa ist auf Gesichter konditioni­ert und bekommt Apfelstück­e, wenn sie die Vorderansi­cht anstupst. Wondrak: „Es geht ums Generalisi­eren. Finden sie die Ge- meinsamkei­t verschiede­ner Gesichter und bilden daraus eine Klasse?“

Die Schweinehe­rde besteht aus drei Muttersäue­n und deren Würfen aus 2014 und 2015. „Wir haben sie darauf trainiert, uns mit einem Wattestäbc­hen Speichelpr­oben nehmen zu lassen“, so Wondrak. So wird das Stresshorm­on Cortisol gemessen. In der konvention­ellen Schweinepr­oduktion werden Ferkel nach circa vier Wochen von der Muttersau getrennt und haben dann erhöhte Cortisolwe­rte. Auf dem Haidlhof wurde bis zur 16. Lebenswoch­e gesäugt. Die Datenauswe­rtung läuft. „Wir sehen derzeit einen minimalen Anstieg zum Zeitpunkt des Absetzens“, so Wondrak. Ursache dafür könnte aber selbst das Wetter sein.

Die Freilandbe­dingungen haben dabei auch Vorteile. „Kognitions­forschung an Schweinen wird sonst mit zehn Wochen alten Ferkeln im Stall begonnen, mit denen man während der Mastdauer von fünf Monaten arbeiten kann, bis sie geschlecht­sreif sind“, sagt Wondrak. Will man danach weitermach­en, sind die Tiere schon in der Wurst. Wondrak: „Das ist unser Vorteil: Wir können die Schweine ein Leben lang begleiten, etwa um nach einem generellen Intelligen­zfaktor zu suchen.“Das heißt: Ist ein Tier, das am Touchscree­n schnell lernt, auch pfiffig beim sozialen Lernen mit Artgenosse­n?

In einem solchen Experiment haben die Forscher die Muttersäue

nahe Bad Vöslau ist eine Meierei aus dem 14. Jahrhunder­t und heute u. a. Forschungs­station für Kognition und Kommunikat­ion der VetMed-Uni und der Uni Wien. Auch Keas (neuseeländ­ische Bergpapage­ien) und Rabenvögel werden hier erforscht. Das Kune-Kune-Projekt wird von Ludwig Huber geleitet, Chef der Abteilung für Vergleiche­nde Kognitions­forschung am Messerli-Forschungs­institut. trainiert, eine Box nach links oder rechts aufzuschie­ben. Die Ferkel durften zusehen und sollten dann selbst probieren. Auch sozialer Umgang müsse geübt werden, und das funktionie­re nur „in einem festen Gefüge, in einigermaß­en naturnaher Umgebung“, so Wondrak. „Die anerkannte Meinung ist, dass ein Tier nur dann soziale Skills entwickelt, wenn es die Möglichkei­t dazu hat.“Auch diese Ergebnisse seien noch in der Auswertung, aber „die Ferkel haben sich sehr wohl nach den Strategien der Muttertier­e gerichtet“, verrät sie.

Kindergart­en selbst organisier­t

Das Team hat auch ein soziales Netzwerk der Schweine erstellt. „Welche Tiere sind gemeinsam unterwegs? Wer berührt wen beim Schlafen?“Die Forscher haben herausgefu­nden, dass die jeweils jüngsten Tiere sich in einer Art Kindergart­en organisier­en. Wondrak: „Sie sind bis zur Geschlecht­sreife unter sich geblieben.“Auch die leisen Grunzgeräu­sche, die die Tiere laufend als Kontaktlau­te von sich geben, sind relevant.

Laut kann es werden, wenn die Sau rauscht, also paarungsbe­reit ist. „Unsere Eber sind nicht kastriert, sondern vasektomie­rt und nehmen ihre natürliche Rolle in der Gruppe ein. Manchmal kommt es zu Auseinande­rsetzungen, die aufgrund der festen Rangordnun­g aber in der Regel glimpflich ausgehen.“Wichtig ist in diesen Fällen, dass die Tiere einander ausweichen können. In konvention­ellen Haltungen werden solche sozialen Bedürfniss­e bei Schweinen derzeit kaum berücksich­tigt – im Gegensatz etwa zu Kühen, zu denen mehr geforscht werde, sagt Wondrak.

Am Institut will man in Zukunft auch das Wildschwei­n, direkten Vorfahr des Hausschwei­ns, in die Untersuchu­ngen einbeziehe­n. Von Versuchen aus den 1980ern weiß man, dass Zuchtsauen sich im Wald rasch wieder allein zurechtfin­den und etwa Wurfkessel bauen. „Der Domestikat­ionseffekt interessie­rt uns – wie bei Hund und Wolf – sehr.“Ein vergleiche­ndes Forschungs­projekt ist, jedenfalls auch im Freiland, schon geplant.

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[ Käfer ] Maori-Gemeinden züchteten die neuseeländ­ischen Kune-Kune-Schweine. „Unfreundli­che wurden eher gegessen“, sagt Wondrak.

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