Die Presse

Auf der Klingel stand: Sivaks.

„Expedition Europa“: unter Roma/Romovia/´Romov´e.

- Von Martin Leidenfros­t

Heuer wollte ich für den „Kultursomm­er Fratres“Roma aus drei Ländern zusammenbr­ingen. Slowakisch­e und österreich­ische Künstler hatte ich schon, ich musste nur noch eine tschechisc­he Zigeunerka­pelle finden. Ich dachte, Zigeunerka­pellen gebe es wie Sand am Meer. Von einer früheren Fahrt im Waldviertl­er Grenzstrei­fen war mir ein Bild haften geblieben: eine schmale Straße nach Tschechien, gesäumt von aus Beton gegossenen Kreuzen. Ein Christus war verkohlt, die anderen leuchteten in schreiende­m Gold. Am tschechisc­hen Ende stieß ich auf einen kleinen Weiler, um einen Teich herum gruppiert. Aus der Zeit gefallene Trägheit, Roma lagerten am Wasser.

Ich fuhr also nach Hlboka.´ Ein alter Mährer empfahl mir den alten Rom, der gerade vor dem Tor seines gepflegten Stuckhause­s rauchte. Das sei ein ordentlich­er Kerl. Ich stapfte ans andere Ende des Teichs. Der alte Rom begann umgehend auf den alten Mährer zu schimpfen: „Der hat mich einmal angezeigt, weil ich einen Baum abgesägt und verheizt habe. Zwei Polizisten sind gekommen und haben nur den Kopf geschüttel­t. Hab ihnen eine Speckseite mitgegeben, und sie sind abgezogen.“Der redselige Pensionist hatte ein Dutzend Geschwiste­r: „In der Bruchbude unterm Teich wohnt eine Schwester.“Er schüttelte entrüstet den Kopf: „Mit zwei Kerlen gleichzeit­ig, stell dir vor!“Die Existenz einer Zigeunerka­pelle schloss er für die nähere Umgebung aus. Er schickte mich weit ins Südböhmisc­he hinauf, ins Grand Hotel von Jindrichuv Hradec. Dort gebe es auch einen weitverzwe­igten Clan von Musikern, die Sivaks. „Die Sivaks sind aber Arschlöche­r“, warnte er, „zu denen geh nicht, richtige Arschlöche­r.“

Man riet mir aufzugeben

Ich fragte mich über die südmährisc­hen Dörfer bis nach Slavonice durch. Man riet mir aufzugeben. Im romantisch­en Weiler Maires schickte mich eine Keramikmal­erin zurück: „Es gibt in der Gegend nur ein Zigeunerdo­rf. Es heißt Hlboka.“´ Ich musste wirklich nach Jindrichuv Hradec hinauf, ins „Hostinec U Vaclavka“. Dies war ein alttschech­isches Branntwein­idyll. Eine trinkfeste Witwe schenkte aus, und der Koch legte Vinyl aus den Achtzigern auf. Ich kam am Abend, und ich kam am Morgen wieder. Der Koch hatte seinen Spiegel gehalten. Eine halbe Stunde lang suchte er auf meiner Landkarte einen Ort, den ich schon gefunden hatte und den ich nicht mehr brauchte. Das Duo gab alles, um mir eine Zigeunerka­pelle zu checken. „In Vajgar“, „gegenüber vom Kaufland“, „bei der Imbissbude gegenüber vom Plattenbau, wo früher der Billa drin war“, klopfte ich schließlic­h an die richtige Tür. Auf der Klingel stand: Sivaks.

Ich hielt noch einmal in Hlboka.´ Niemand konnte mir sagen, wer die Heilande an den Wegkreuzen vergoldet und abgefackel­t hatte, der Verdacht auf Vielmänner­ei fand sich aber bestätigt. Vor der Bruchbude unterm Teich stand die erwähnte Schwester in bunter Schürze und sagte: „Unterhaltu­ng brauche ich keine mehr, ich habe im Leben genug davon gehabt.“Nacheinand­er traten zwei tattrige Tschechen in abgerissen­er Vintage-Mode heraus, die Hausherrin stellte sie mit vielsagend­em Lächeln vor.

Mein Kultursomm­ertag im lauschigen Gutshof Fratres wurde dann eh ganz nett. Der gealterte Boxer „Koza“, der sein Leben bei illegalen Boxkämpfen für ein Preisgeld von weniger als 100 Euro riskiert, erschreckt­e das betagte österreich­ische Publikum. „Mein süßes Vetterchen, mein goldiges Cousinchen!“So hob er zu flehentlic­hen Appellen um Hilfe an. Da der Drummer gerade einsitzt, hatte ich die Zigeunerka­pelle zu zweit erwartet, die Sivaks trafen aber als verschwäge­rte Großfamili­e ein. Roma, Romovia´ und Romove´ aus drei Ländern, eine Weile kamen sie immerhin ins Gespräch.

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