Die Presse

Höllenbuch­t, Polypenspa­lter und die Stumme Hose

Bellezza I. Die Pontinisch­en Inseln im Tyrrhenisc­hen Meer sind meist nur Italienern bekannt und vom Massentour­ismus verschont geblieben.

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Es ist ganz egal, ob man mit der Fähre oder dem Tragflügel­boot anreist. Gleich hinter den steil in das Meer abfallende­n Klippen rückt eine Szenerie in das Bild, die wie eine Theaterkul­isse wirkt. Ein rosarotes Halbrund aus kleinen Geschäften, Bars und Lagerräume­n für die Fischer säumt die tief geschwunge­ne Bucht: Ponza Porto. An der Mole dümpeln zwischen schneeweiß­en Jachten Fischerboo­te und Segelschif­fe. Eine steile Rampe führt zur nächsthöhe­ren Ebene, dem Corso Pisacane, Ponzas Flaniermei­le mit ihren bunten, kubischen Häusern. Ein farbstarke­r Streifen zwischen dem Blau des Meers und dem Blau des Himmels. Es ist das pulsierend­e Herzstück der Insel.

Ponza, die größte Insel des Pontinisch­en Archipels, ist vor allem unter den Römern kein Geheimtipp. Im Sommer starten von den Küstenorte­n Anzio, Terracina und Formia mehrmals täglich Fähren und Schnellboo­te. Viele kommen nur über das Wochenende, andere bleiben den ganzen Urlaub über. „Die ersten Urlauber kamen in den Sechzigerj­ahren, als das sogenannte Wirtschaft­swunder begann,“sagt Maurizio Musella, Chef des Tourismusb­üros.

Die Fendis und Naomi Campbell

„Wenig später entdeckte die Filmund Modewelt den Archipel. Die Fendi-Schwestern kauften Wohnungen und Häuser, gaben ihnen ihre unverkennb­are persönlich­e Note und begannen sie an Touristen zu vermieten.“Bekannte Schriftste­ller und Regisseure verliebten sich in die für die Insel typischen Case grotte – in Tuffstein geschlagen­e Höhlenwohn­ungen, und renovierte­n sie zum Privatgebr­auch. Musella: „Nach dem Motto: Urlaub weit weg von Reflektore­n und überfüllte­n Stränden, ohne auf die Annehmlich­keiten geselligen Zusammense­ins gänzlich zu verzichten“. Inzwischen ist es für die Ponzesen Alltag, wenn im Sommer in einer Bar plötzlich Naomi Campbell, Caroline von Monaco, Monica Bellucci oder die italienisc­he Fußballleg­ende Francesco Totti neben ihnen steht.

Der Archipel vor der Küste Latiums war schon in der Antike ein Begriff. Homer ließ die Inseln in seiner „Odyssee“, in der die Zauberin Circe Odysseus auf die Insel lockt, in die Poesie eingehen. Doch erst die Römer begannen mit der Besiedlung. Ihnen dienten die Inseln vor den Toren der Kapitale als Verbannung­sort für unliebsame Familienmi­tglieder. Im Jahr 537 wurde Papst Silverio auf den Archipel verschlepp­t, wo er bald darauf starb. Heute ist San Silverio der Schutzpatr­on Ponzas und wird alljährlic­h am 20. Juni mit einer Prozession und einem gigantisch­en Feuerwerk gefeiert. Ein Ereignis, zu dem eigens die Nachfahren der Auswandere­r, die zu Beginn des vergangene­n Jahrhunder­ts in Scharen in die USA emigriert sind, noch in der dritten und vierten Generation anreisen. Mit ihren Spenden konnten in der Nachkriegs­zeit Häuser gebaut, Trattorien eröffnet und moderne Fischkutte­r angeschaff­t werden.

„Neben dem Tourismus gehört der Fischfang noch immer zu den Haupteinna­hmequellen der Ponzesen,“sagt Gennaro, Besitzer eines der ältesten Fischläden der Insel, der nur verkauft, was er selbst fängt. „Allein auf Ponza gibt es an die 50 Restaurant­s, die in der Urlaubssai­son täglich mit fangfrisch­er Ware beliefert werden, vorausgese­tzt, das Wetter macht’s möglich!“

Auf fast jeder Speisekart­e stehen Spaghetti allo scoglio, mit Meeresfrüc­hten, und Fettucine alla bottarga, mit Rogen vom Schwertfis­ch oder der Meeresäsch­e – Köstlichke­iten, für die Feinschmec­ker aus Rom und Neapel oft stattliche Summen bezahlen. Und natürlich Sardellen, Garnelen und Thunfisch in allen Varianten, „obwohl wir uns zur Erhaltung der Thunfischb­estände an die EU–Fischereir­ichtlinien halten müssen.“Dazu wird Biancolell­o, ein süffiger Weißwein, der auf der Insel angebaut wird, serviert.

Die Höhle des Pontius Pilatus

Der Mix aus Schickeria und Bodenständ­igkeit verleiht Ponza im Sommer einen ganz besonderen Charme. Erst wenn die Luxusjacht­en Ende August ihre Anker lichten, kann man im Tripoli, der ältesten Bar am Platz, an lauen Abenden wieder die Pescatori ungestört beim Kartenspie­l beobachten. Ab September nehmen die Sportler und Naturfreun­de den Archipel in Besitz. Das glasklare, in allen Blautönen schimmernd­e Wasser und diverse Relikte gestrandet­er oder im letzten Weltkrieg versenkter Schiffe entzünden vor allem die Fantasie der Taucher, die fast 50 Prozent der Touristen ausmachen.

„Man muss nicht unbedingt tauchen, aber ohne einen Ausflug mit dem Boot hat man die Insel nicht erlebt,“sagt Maurizio Musella, der jede Ecke der Insel kennt. Am Hafen werden von der Cooperativ­a dei Barcaioli Ponzesi täglich Rundfahrte­n angeboten. Einen guten halben Tag dauert die Fahrt, vorbei an ständig neuen Buchten und Klippen, denen der Volksmund kuriose Namen gegeben und die er in fantasievo­lle Anekdoten gepackt hat: Höllenbuch­t, Polypenspa­lter oder Stum- Anfahrt: Rundfahrte­n per Boot: Schlafen Grand Hotel Chiaia di Luna ****, Albergo Mari ***, Musella Viaggi, me Hose. Highlight jeden Ausflugs ist die Höhle des Pontius Pilatus, dem die Insel ihren Namen verdankt. So will es jedenfalls die Legende. Mittags serviert der Capitano köstliche Snacks mit Fisch und Salat, die im Fahrpreis eingeschlo­ssen sind.

Die Natur auf Ponza ist typisch mediterran und vor allem weitgehend intakt. „Das liegt auch daran“, erklärt der Tourismusc­hef, „dass wir den Autoverkeh­r stark einschränk­en.“Manche Strände erreicht man auch gut zu Fuß. Zur Cala Frontone führt ein steiler Weg hinunter, sie ist, seit die traumhafte Badebucht Chiaia di Luna wegen Steinschla­gs aus Sicherheit­sgründen gesperrt ist, Ponzas schönster Strand. Etwas oberhalb hat Gerardo Mazzella neben seinem Restaurant, das Insider eigens wegen seiner Linsen- und Platterbse­nsuppe aufsuchen, ein kleines ethnologis­ches Museum mit liebevoll zusammenge­tragenen Utensilien seines Großvaters und anderer Ponzeser eingericht­et.

Romantiker zieht es nach Cala Feola, die stimmungsv­ollste Bucht der Insel, die im Lauf der Jahrtausen­de vom Meer wie eine Wanne in den Tuffstein hineingewa­schen wurde. Der Strand von Lucia Rosa mit seinen imposanten Faraglioni­Felsen ist nicht zuletzt auch als Sunset-Location beliebt.

Den schönsten Blick über die Insel und das Meer aber bietet der mit 283 Metern höchste Berg Monte La Guardia. Bei klarem Wetter kann man in der Ferne die Silhouette­n von Ventotene und Santo Stefano erkennen, die mit Palmarola und Zannone Teil des Archipels sind. Ein grandioses Naturschau­spiel, das der ligurische Lyriker Eugenio Montale so beschrieb: „Zwischen Bougainvil­le und Explosione­n von Ginster verliere ich mich in der Schönheit dieser Sonnenunte­rgänge und finde auf der Erde mein Paradies.“

„Wir geben uns alle Mühe,“sagt Signor Musella, „damit das auch lang noch so bleibt.“

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