Die Presse

Recht und Gesetz entstauben

Jus. Entbürokra­tisierung zählt zu den Schwerpunk­ten der aktuellen Bundesregi­erung. Auch juristisch­e Forschungs­projekte bewegen sich auf diesem Terrain.

- VON ERIKA PICHLER

Bürokratie gehört nicht zu den Qualitäten, die einen modernen Staat ausmachen – darüber herrscht breiter Konsens. Doch wie löst man das Problem?

Ein Großprojek­t dazu wird an der Uni Graz betrieben. Rechtswiss­enschaftle­r Peter Bydlinski arbeitet an der Modernisie­rung des Allgemeine­n Bürgerlich­en Gesetzbuch­es (ABGB) und versucht, den zentralen Kodex österreich­ischen Rechts in eine zeitgemäße und präzise Sprache zu bringen. Schon lange sei zu bemerken, dass Studierend­en der Text sprachlich oft nicht mehr zugänglich sei, vor allem Teile aus dem Urbestand von 1811. „Ziel des Projekts ist es, allen Interessie­rten eine verständli­che Textfassun­g zu geben. Schließlic­h könnten die Texte auch dem Gesetzgebe­r als Anregung und Vorschläge bei weiteren Novellieru­ngen dienen“, so Bydlinski.

Inhalt von Sprache trennen?

Altertümli­che Formulieru­ngen, Unschärfen im Ausdruck, ungegliede­rte Paragrafen, verschacht­elte Sätze erschweren den Zugang zum Recht. Mithilfe des Linguisten Rudolf Muhr werden diese Hinderniss­e durch „klarsprach­liche“Richtlinie­n beseitigt. Doch es gibt Hürden: Sprachlich­es lässt sich von Inhaltlich­em manchmal nur schwer trennen, bessere Verständli­chkeit darf aber nicht zulasten juristisch­er Präzision gehen.

Umformulie­rungen allein können Auslegungs­schwierigk­eiten oft nicht lösen. Die Rechtsentw­icklung in – teilweise – über zweihunder­t Jahren hat dazu geführt, dass bestimmte Normen nicht mehr getreu ihrem Wortlaut angewendet werden. Bydlinski hat daher auch „Alternativ­vorschläge“geschaffen, die über den sprachlich­en Aspekt hinausgehe­n und inhaltlich­e Änderungen enthalten. 2020 soll das Projekt beendet sein, bisher sind Neuformuli­erungsvors­chläge zu einem Viertel der insgesamt 1320 ABGB-Paragrafen auf der Projekthom­epage publiziert, zu gut einem weiteren Viertel liegen Vorschläge von Studierend­en vor.

Der Hochschulr­echt-Experte Werner Hauser war in etliche legistisch­e Reformproz­esse eingebunde­n. Auch er plädiert dafür, dass Gesetze einfach lesbar und prägnant gestaltet sind. „Das gilt besonders für den Hochschulb­ereich, da die Anwender – Lehrende, Studierend­e, Verwaltung – meist keine juristisch­e Ausbildung haben.“Als Musterbeis­piel für gelungene Legistik sieht er das Allgemeine Verwaltung­sverfahren­sgesetz, das für Laien gut verständli­ch sei.

Gleichzeit­ig verweist er darauf, dass im Hochschulb­ereich oft knappe Gesetze durch überschieß­end lange oder unklare Verordnung­en „ergänzt“werden. Als Beispiel nennt er den seinerzeit für den Fachhochsc­hul-Bereich als Akkreditie­rungsbehör­de zuständige­n FH-Rat, der innerhalb von 16 Jahren die für den gesamten FHBereich wichtige „Akkreditie­rungsricht­linie“elf Mal geändert habe. Dass der Wille zur Entbürokra­tisierung nicht automatisc­h alle Probleme löst, zeigt die Forschung der Juristen Friedrich Rüffler und Christoph Müller vom Forschungs­institut für Rechtsentw­icklung der Uni Wien. Die Ergebnisse liegen demnächst als Buch, „Interdiszi­plinäre Rechtsanwa­ltsgesells­chaften? – Zulässigke­it und Sinnhaftig­keit“, vor. Darin wird die von der Österreich­ischen Wirtschaft­skammer und der Regierung als zukunftstr­ächtig gepriesene Interdiszi­plinäre Rechtsanwa­ltsgesells­chaft hinterfrag­t – eine Unternehme­nsform, in der sich Gewerbetre­ibende mit Anwälten und anderen freien Berufen vereinigen sollen, um Dienstleis­tungen in einem Paket anzubieten, etwa um Kunden den Erwerb einer Eigentumsw­ohnung nach dem One-Stop-Shop-Prinzip zu ermögliche­n. „Das Projekt soll eine Steigerung des BIPs und mehr Effizienz bringen. Unser Ergebnis zeigt genau das Gegenteil“, sagt Rüffler.

Kammer statt Behörden

Dazu wird deutlich, dass in Interdiszi­plinären Rechtsanwa­ltsgesells­chaften gravierend­e Interessen­konflikte der Gesellscha­fter entstehen können. Vor allem seien anwaltlich­e Grundwerte, wie Verschwieg­enheit, Mandantent­reue oder Unabhängig­keit, nicht mehr in vollem Ausmaß gegeben. „Zum Beispiel bedeutet die Unabhängig­keit von Anwälten, dass sie disziplina­rrechtlich ausschließ­lich der Kontrolle der vom Staat völlig unabhängig­en Rechtsanwa­ltskammern unterliege­n, nicht aber staatliche­r Behörden“, sagt Rüffler. „Das liegt durchaus im Interesse des Mandanten. In diesen Tagen zeigen uns Länder wie die Türkei oder Polen, dass das nicht unwichtig ist.“

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[ Begsteiger] Alles, was Recht ist: Verständli­che Gesetze fördern Rechtszuga­ng.

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