Die Presse

Die Gesichter des Krisensomm­ers

Tourismus. In der Türkei schreckt der Putschvers­uch die letzten Urlauber ab. Im ausgebucht­en Spanien bildet sich Widerstand gegen die Gästemasse­n. Dazwischen liegt ein verunsiche­rter Kontinent und eine Reisebranc­he in Alarmberei­tschaft.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wien. Das Prinzip Hoffnung galt bis zuletzt. Noch im Juni sprachen die großen Reiseveran­stalter wie TUI oder Thomas Cook davon, dass das Last-Minute-Geschäft die Türkei aus ihrem Buchungsti­ef herausreiß­en könnte.

Das war vor dem blutigen Anschlag auf dem Atatürk-Flughafen am 28. Juni. Und vor dem 15. Juli, als Teile des Militärs erfolglos gegen die Regierung von Präsident Erdogan˘ putschten. Seitdem gilt in der Türkei der Ausnahmezu­stand. Im Tourismuss­ektor des Landes, dem es knapp 13 Prozent seiner Wirtschaft­sleistung verdankt, herrscht dieser spätestens seit den IS-Anschlägen auf deutsche Touristen im Jänner. Da helfen alle aktuellen Beruhigung­en vonseiten des Tourismusm­inisters und auch die Sonderange­bote der Reiseveran­stalter nichts: Schon um 270 Euro pro Person kann man derzeit eine Woche Urlaub in der Türkei machen – inklusive Flug.

Seit dem Militärauf­stand seien so gut wie keine Türkei-Buchungen eingegange­n, meldeten die stark vom dortigen Pauschalto­urismus abhängigen Ruefa-Reisebüros am Freitag. Sie verzeichne­n mittlerwei­le einen Rückgang von mehr als 58 Prozent. Am Tag zuvor sprach das türkische Tourismusm­inisterium von einem seit 22 Jahren nicht mehr da gewesenen Einbruch bei den ausländisc­hen Gästen. 2,44 Millionen – 41 Prozent weniger als im Vergleichs­monat 2015 – zählte man im Juni. Das Regierungs­ziel, heuer mindestens 30 Millionen Gäste zu begrüßen, rückt in weite Ferne. TUI-Österreich-Chef Dirk Lukas will die Hoffnung noch nicht aufgeben: Die Spontanbuc­hungen könnten noch anziehen – vorausgese­tzt, es bleibt in der Türkei ruhig.

Palma hisst die Trauerflag­gen

Auf der anderen Seite des europäisch­en Kontinents hadert man nicht mit leeren Stränden, sondern dem genauen Gegenteil. Spaniens Regierung freut der anhaltende Urlauberst­rom zwar: Am Donnerstag konnte sie die Wirtschaft­swachstums­prognose um zwei Zehntel auf 2,9 Prozent hinaufkorr­igieren. Gleichzeit­ig sank die Arbeitslos­igkeit auf ein Sechs-Jahres-Tief von 20 Prozent. Den einzelnen Mallorquin­er dürfte es weniger freuen, dass seine Insel neben kroatische­n, italieni- schen, portugiesi­schen und griechisch­en Zielen am meisten von den Krisenherd­en jenseits des Mittelmeer­s profitiert. Rund um Mallorcas berüchtigt­e Feiermeile Ballermann wachsen die Ressentime­nts gegen den Massentour­ismus: Graffitis mit „Tourists, you are the Terrorists“zieren die Hauswände Palmas. Anfang Juli hissten die Stadtbewoh­ner aus Protest schwarze Trauerflag­gen.

Zwei Millionen Spanier arbeiten in der Tourismusb­ranche, die 16 Prozent zum Bruttoinla­ndsprodukt beiträgt. Ministerpr­äsident Mariano Rajoy spricht nicht umsonst vom „Motor“, der der lang kriselnden Wirtschaft auf die Beine helfen soll. Spanien hat fest vor, die 51 Mrd. Euro Einnahmen, die die 68 Millionen Touristen im vergangene­n Rekordjahr zurückließ­en, zu übertreffe­n. Das dürfte gelingen: Für 2016 werden rund 72 Millionen Urlauber aus dem Ausland erwartet. Allein bis Juni waren es 32,8 Millionen – 11,7 Prozent mehr als im Vorjahresz­eitraum. Der spanische Hoteldachv­erband meldete bereits Anfang des Monats für Hotspots wie die Balearenin­seln Auslastung­en von bis zu

90 Prozent. „Man findet noch da und dort Platz, aber zu einem bestimmten Termin mit schönem Hotel und Meerblick – das geht nicht mehr“, fasst Lukas von TUI die Lage zusammen. Auch so kann ein Land an seine touristisc­hen Grenzen stoßen.

Rom mahnt zu Gästekontr­ollen

Um seine Grenzen sorgt sich Spanien auch im geografisc­hen Sinn: Nach der Amokfahrt in Nizza kontrollie­rt es wie Deutschlan­d und Italien verstärkt seine Außengrenz­e zu Frankreich. Der Anschlag, der Mitte des Monats 84 Tote an der Coteˆ d’Azur forderte, macht westeuropä­ischen Tourismusr­egionen eines deutlich: Jede kann jederzeit zum Anschlagsz­iel werden. Radikalisi­erte Einzeltäte­r machen nicht zwangsläuf­ig Halt vor Sizilien, das bei den Urlauberza­hlen ein italienisc­hes Rekordplus von 21 Prozent für Juli verbucht. Oder vor Rom, das aus Angst vor einem Nizza-Szenario zu verschärft­en Ausweiskon­trollen bei Hotelgäste­n aufruft. Die Ewige Stadt kämpft zurzeit gegen private Vermieter, allen voran Airbnb-Gastgeber, die diese gesetzlich­e Pflicht oftmals ignorieren.

Ein zweites Nizza kann sich Italien schon rein finanziell schwer leisten. Frankreich­s Wirtschaft­sminister Emmanuel Macron prophezeit­e seinem Land in den kommenden Monaten jüngst Besucherrü­ckgänge bis zu 30 Prozent. Wie lang sie anhielten, sei ungewiss. Fakt sei aber, dass die Branche noch immer unter den Pariser Anschlägen von November leide. Das Prinzip Hoffnung gilt für den Tourismus wohl auch in diesem Fall.

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