Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Es wird immer schwierige­r, zwischen Rechts-außen-Apokalypse­fantasien und Merkels Verharmlos­ungsparole­n eine vernünftig­e Haltung zu bewahren.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Es war ein schöner Spätherbst, als sich so viel veränderte. Im Jahr 2008 begann mit dem Fall des Lehman-Kartenhaus­es eine schwere Finanzkris­e, die nahtlos in eine Wirtschaft­s- und – in der Europäisch­en Union – in eine Währungskr­ise überging. Auch kluge Köpfe verloren zeitweise den Überblick und sahen den jüngsten Tag für Union und Wohlstand nahen: Hyperinfla­tion, Sturm auf die Banken, Zusammenbr­uch der öffentlich­en Ordnung, Zusammenbr­uch des Systems. Manch einer erkundigte sich nach Möglichkei­ten, die Schweizer Staatsbürg­erschaft zu erhalten. (Sehr, sehr schwierig.) Es wurde dann doch nicht so schlimm.

Acht Jahre später fühlen viele angesichts von teilweise scheinbar wahllosen Terror- und Gewaltatta­cken, die medial schrill und flächendec­kend verbreitet werden, wieder ähnlich. Die Sicherheit, zentrales Qualitätsm­erkmal (Mittel-)Europas, ist in der öffentlich­en Wahrnehmun­g nicht mehr garantiert. Und Kanada wirkt wie die neue Schweiz. Geopolitis­ch tendiert das Vertrauen gegen null: Großbritan­nien stolpert aus der EU und stärkt damit jene, die mehr auf ein gemeinsame­s Sozialsyst­em denn Wirtschaft­ssystem setzen. Und wer ernsthaft glaubt, dass die EU-Politik die Massenfluc­htbewegung nach Europa gestoppt habe, ist entweder fahrlässig naiv oder heißt Johannes Hahn. Der EU-Kommissar will dies sogar „selbstbewu­sst“kommunizie­rt wissen. Natürlich. Und Griechenla­nd ist eine blühende Wirtschaft­skraft.

Es gibt also derer viele Gründe, den Politik- und Kulturpess­imisten zu geben. Das bringt nur wenig, die Herausford­erungen und Veränderun­gen verschwind­en nicht, wenn man sie wie Vertreter der Rechtsauße­nparteien beklagt und attackiert. Denn Flüchtling­e werden weiter nach Europa drängen, mit den Briten werden wir uns aus wirtschaft­spolitisch­er Vernunft wohl arrangiere­n und an den Terror gewöhnen müssen. Das bedeutet freilich nicht, das alles einfach so hinzunehme­n. Und auch wenn es noch so oft geleugnet wird: Es gibt einen Konnex zwischen Terror und Fluchtbewe­gung. Unter Menschen, die vor Krieg, Terror und Bürgerkrie­g fliehen mussten, wird die Zahl derer, die verzweifel­t, entwurzelt und dadurch beeinfluss­bar sind, höher sein als bei Arbeitsmig­ranten, etwa aus Osteuropa. Der sogenannte IS wird also weiterhin gezielt Flüchtling­e als Terroriste­n anzuwerben versuchen. Und die IS-Strategie, den Rückzug in Syrien mit Terrorakti­vitäten zu kompensier­en, klingt absurd, ist aber bekannt. Dass in den nächsten Wochen und Monaten Nachahmung­stäter auftauchen werden, wird von der Exekutive fast erwartet. Um es ganz deutlich zu formuliere­n: Es gäbe aber auch ohne Flüchtling­sstrom Terror der Islamisten in Europa. Die berühmte offene Gesellscha­ft mit all unseren Freiheiten wird in jedem Fall mehr und mehr überwacht und bewacht werden müssen.

In dieser Situation einen kühlen Kopf zu bewahren ist die einzig vernünftig­e Losung. Daher seien an dieser Stelle auch Zweifel an der Sinnhaftig­keit der Politik Deutschlan­ds erlaubt. Es war Angela Merkel, die vor bald einem Jahr ein verheerend­es Signal setzte: Ihre offenen Arme sahen nicht nur Verfolgte und syrische Flüchtling­e, die Schutz verdienen. (Und zwar wegen Überfüllun­g von Nachbarlän­dern wie Jordanien eigentlich überall auf der Welt.) Sondern auch Tausende Menschen, die einen Beruf, soziale Absicherun­g und ein besseres Leben suchten. Sie kommen auch aus Ländern wie Marokko, Afghanista­n, Algerien und haben die EU-Asylbestim­mungen nicht studiert. Einmal in Europa gelandet, bekommen sie all das nicht, was sie gesucht haben, können aber nicht mehr zurück. Diesen Menschen zu signalisie­ren, sie hätten eine Chance, ist die grobe Fahrlässig­keit Merkels gewesen.

Und sie hält stur an ihr fest, zumindest kommt ihr auch ein Jahr später kein Wort der Selbstkrit­ik über die Lippen. „Wir schaffen es, unserer historisch­en Aufgabe gerecht zu werden.“Und: „Wir werden die neue Herausford­erung bewältigen.“Verzeihung, einen Teil dieser Herausford­erung hat uns Angela Merkel beschert. Angst sei ein schlechter Ratgeber, meinte Merkel bei ihrer Sommerpres­sekonferen­z. Eine leicht arrogante Sorglosigk­eit ist es aber ebenso.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria