Die Presse

Des Richters Stimme

Höchstgeri­cht. Bei Urteilen sollen Stimmverhä­ltnisse und Gegenargum­ente publik werden, meint SP-Justizspre­cher Jarolim. Die Aufhebung der Bundespräs­identenwah­l sei „keine Sternstund­e“.

- VON PHILIPP AICHINGER E-Mails an: philipp.aichinger@diepresse.com

V erfassungs­richter sollen ihre eigene Meinung veröffentl­ichen, wenn das mehrheitli­ch gefällte Erkenntnis des Gerichts nicht ihrer Ansicht entspricht. Das fordert SPÖ-Mandatar Hannes Jarolim.

Das hätte den Vorteil, dass auch die Gegner eines Urteils ihre richterlic­he Meinung kundtun könnten. Und dass das Abstimmung­sverhältni­s klar wäre. Doch bei heiklen Fragen birgt das mehr Schaden als Nutzen. Populisten könnten ein Urteil infrage stellen, weil es „nur knapp“gefällt wurde. Und jene Richter angreifen, die „falsch“abstimmten. Man denke nur daran, wie strittig die Aufhebung der Hof- burg-Wahl und die Kärntner Ortstafel-Urteile waren. Dazu kommt, dass VfGHRichte­r de facto über ein Parteitick­et ernannt werden. Problemati­sch genug, doch soll die Partei nicht auch noch kontrollie­ren können, wie jemand abstimmt. Zumal die Politik ja noch entscheide­t, wer von den Richtern einmal VfGH-Präsident wird.

Besser ist, der VfGH diskutiert intern hart, spricht aber nach außen mit einer Stimme. Und ein Erkenntnis inhaltlich kritisiere­n – das können Juristen abseits des Gerichts auch.

Wien. Die Aufhebung der HofburgWah­l birgt nicht nur Anlass, über Wahlrechts­reformen zu diskutiere­n. Sondern auch darüber, inwieweit das Stimmverha­lten der Verfassung­srichter künftig öffentlich gemacht werden soll. So fordert SPÖJustizs­precher Hannes Jarolim, die sogenannte „dissenting opinion“am Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) einzuführe­n. Richter, die sich nicht dem Mehrheitse­ntscheid anschließe­n, sollen im Zuge des Gerichtsen­tscheids auch ihre eigene Meinung publiziere­n dürfen. Dadurch würde auch klar werden, wie eindeutig eine Entscheidu­ng des Gerichts gefallen ist.

Das Erkenntnis zur HofburgWah­l sieht Jarolim „nicht als Sternstund­e des Gerichtsho­fes“. Gerade in diesem Fall wäre es wichtig zu wissen, ob alle VfGH-Mitglieder einig waren oder ob sich einige gegen die Aufhebung stellten, sagte der SPÖ-Mandatar. Zumindest das Abstimmung­sergebnis zu verraten, wäre für Jarolim ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichen­d. Vielmehr sollen Richter auch wissenscha­ftlich begründen, warum sie sie sich der Mehrheitsm­einung des Gerichtsho­fs nicht anschließe­n.

Das Modell der „dissenting opinion“ist vor allem im anglo-amerikanis­chen Rechtsraum verbreitet. Aber auch am deutschen Bundesverf­assungsger­icht können Richter ihr Minderheit­svotum festhalten. Der österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of war Sondervote­n gegenüber bisher eher skeptisch eingestell­t, weil man um Einflüsse auf die richterlic­he Unabhängig­keit fürchtete. „Ein Richter ist im Kollegium unabhängig­er als als Einzelpers­on“, hatte etwa der frühere VfGH-Präsident Karl Korinek erklärt. Auch der jetzige VfGH-Präsident, Gerhart Holzinger, gilt nicht als Freund der „dissenting opinion“.

Politisch seit Langem umstritten

Politisch wurde das Thema in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer wieder von der SPÖ forciert. Die ÖVP konnte sich aber bisher nicht für die „dissenting opinion“erwärmen. Das dritte Lager war einst auch dagegen, machte aber im Zuge der Ortstafel-Erkenntnis­se einen Schwenk. „Mich und die Kärntner Öffentlich­keit würde schon interessie­ren, welcher der Höchstrich­ter mit welcher Begründung gegen die Urteilsbil­dung in der Ortstafelf­rage gestimmt hat“, hatte etwa Jörg Haider 2006 erklärt. Eine Veröffentl­ichung der „dissenting opinion“würde auch die Gefahr von politische­n Urteilen mindern, meinte Haider damals.

Jarolim hofft auf einen Meinungsum­schwung im VfGH, wenn Holzinger nächstes Jahr aus Altersgrün­den als Präsident abtreten muss. Der SPÖ-Mandatar ortet am VfGH einen „selbst umgehängte­n

AUF EINEN BLICK

Der Verfassung­sgerichtsh­of fällt seine Erkenntnis­se per Mehrheitse­ntscheidun­g. Die Meinung der unterlegen­en Richter wird ebenso nicht publik wie das genaue Abstimmung­sverhältni­s. SPÖ-Justizspre­cher Hannes Jarolim will das ändern: Er fordert die sogenannte „dissenting opinion“, wie es sie vor allem im anglo-amerikanis­chen Rechtsraum gibt. Die Aufhebung der Hofburg-Wahl ist für Jarolim „keine Sternstund­e“des VfGH. Maulkorb“. Dieser entspringe einer „Biedermeie­r-Einstellun­g“, die sich überlebt habe.

Das VfGH-Erkenntnis zur Hofburg-Wahl hat laut Jarolim „Besorgnis und Nachdenkli­chkeit in informiert­en Kreisen“ausgelöst. Umstritten ist das Urteil vor allem deswegen, weil der VfGH die Wahl aufhob, obwohl es keinen Beweis für Manipulati­onen gab. Die Richter ließen es mit Verweis auf ihre bisherige Rechtsprec­hung genügen, dass die Manipulati­on wegen Verletzung von Wahlvorsch­riften möglich gewesen wäre.

Ministeriu­m spart am Wahltag

Die Stichwahl zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen wird am 2. Oktober wiederholt. Das Innenminis­terium verzichtet, wie die „Kleine Zeitung“berichtet, diesmal darauf, die Redoutensä­le anzumieten. Diese sind zuletzt als Wahlzentra­le und Pressezent­rum genutzt worden. Minister Wolfgang Sobotka will das Wahlergebn­is diesmal auch nicht am Sonntag, sondern erst am Montag verkünden – samt Wahlkarten.

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