Fröhliche Rhythmen aus den Hinterhöfen des Wohlstands
Glatt & Verkehrt. Zum 20-Jahr-Jubiläum des Kremser Festivals servierte der jamaikanische Gitarrist Ernest Ranglin exotische Soundcocktails. Die malische Sängerin Rokia Traore´ fand Trost und Hoffnung an Orten, wo man sie normalerweise nicht erwartet.
So mancher Popmusiker wäre selig, wenn er mit 65 so fit wäre wie der jamaikanische Gitarrist Ernest Ranglin mit seinen beinah 84 Jahren. Bedauerlicherweise absolviert er trotz seines beneidenswerten Gesundheitszustands in diesem Sommer seine Abschlusstour. Das tut er mit einer All-Star-Formation, die unter anderem mit Granden wie Afrobeat-Pionier Tony Allen, Jazzsaxofonist Courtney Pine und dem senegalesischen Superstar Cheikh Loˆ aufwartet. Die Jubiläumsausgabe des Weltmusikfestivals Glatt & Verkehrt war der ideale Rahmen für diesen König der delikaten Fusion von Reggae, Afro und Jazz. Das elegante Changieren zwischen den Stilen gehörte von Anbeginn zu Ranglins Musik. Sozialisiert mit dem Orchesterjazz von Duke Ellington bis Stan Kenton, war sich der gebürtige Jamaikaner nie zu schade, auch Ska, Rocksteady oder Reggae zu spielen. Mit viel Erfolg sogar. Er arrangierte etwa Millie Smalls Welthit „My Boy Lollipop“, auf dem er auch die Ska-Gitarre spielt. Zudem hat er den Soundtrack des James-Bond-Streifens „Dr. No“entscheidend mitgestaltet.
Unreglementiertes Glück
Obwohl es in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern so aussah, als würde Ranglin von seinen Arbeiten für das Reggae-Label Studio One aufgezehrt, blieb genug Zeit für seine Jazzkarriere. Improvisation blieb wichtiger Bestandteil seiner Musik. Diese Sehnsucht nach unreglementiertem Glück leuchtete in Krems bereits aus dem Opener „Surfin $?? “, dessen simple Melodie Ranglin mit viel Gusto variierte. Ein Highlight von ganz anderer Anmutung war die afrikanische Meditation „Swaziland“, in der Ranglins anspruchsvolle Läufe auf köstlich naives Klavierspiel trafen. Pianist Alex Wilson spielte da mit einer erfrischenden Simplizität, die an Gustl Zelibor, den legendären Tastenmann der Heinz-Conrads-Sendungen, erinnerte. Rhythmiker und Sänger Cheikh Loˆ führte vor, dass die afrikanische Liedkunst zu einem beträchtlichen Teil Gedächtniskunst ist. Lieder wie „Balbalou“und „Suzana“suchten die Fühlung mit den Vorfahren.
Das tat anderntags auch die 42-jährige Rokia Traore,´ die heuer ihr famoses sechstes Studioalbum „Ne´ So“präsentiert hat. Ihr Stellenwert reicht weit über Weltmusikkreise hinaus. Das ist daran abzulesen, dass sich Popstars wie der Led-Zeppelin-Keyboarder John Paul Jones und der amerikanische FreakFolk-Heilige Devendra Banhart darum gerissen haben, auf „No Se“´ mitzumachen. In ih- ren Liedern sucht Traore´ Schönheit, Hoffnung und Trost an Orten, wo diese gewöhnlich nicht zu finden sind. So auf den Booten der afrikanischen Flüchtlinge und ganz allgemein in den Hinterhöfen des Wohlstands. „Le bonheur est une attitude“sang sie trotzig zum schaukelnden Rhythmus von „Tu Voles“.
Lieder auf Bambara und Französisch
Das Glück ist in ihren Augen einer Haltung zu verdanken, die den Schmerz flieht, statt ihn auf die eine oder andere Weise zu verherrlichen. Zu den heißen Klängen ihrer E-Gitarre beschwor Traore´ in „Kenia“die Zuhörer, sich ihre Ziele wohlüberlegt zu setzen. Sie sang in ihrer Muttersprache Bambara sowie auf Französisch. Allerdings war es gar nicht nötig, die Worte zu verstehen. Allein ihr Klang brachte die Menschen in der Kremser Sandgrube zum Tanzen.