Die Presse

Kern weist Vorwürfe von Erdogan˘ entrüstet zurück

Türkei. Täglich fallen dem Staatspräs­identen neue Strafmaßna­hmen ein. Jetzt will er sich den Geheimdien­st und die Stabschefs der Streitkräf­te direkt unterstell­en.

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Demos. Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) hat entrüstet auf Vorwürfe des türkischen Präsidente­n, Erdogan,˘ reagiert, wonach Türken in Österreich und Deutschlan­d nicht demonstrie­ren dürften. Diese Behauptung sei „schärfsten­s zurückzuwe­isen“, schreibt er auf Facebook. Dass in Österreich das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung, Versammlun­gs- und Demonstrat­ionsrecht auch für Minderheit­en und politisch Andersdenk­ende gelte, so Kern, sei ja genau der Unterschie­d zur Situation in der Türkei.

Einige Leute sagen uns, sie seien besorgt. Die sollen auf ihre eigenen Taten schauen. Präsident Erdogan˘ rügt ausländisc­he Kritiker. [ AFP ]

Ankara/Wien/Köln. Zwei Wochen nach dem gescheiter­ten Militärput­sch in der Türkei lässt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ keinen Tag ungenutzt, um seine Macht weiter auszubauen. In einem TV-Interview sagte er am Wochenende, er wolle den Geheimdien­st MIT sowie alle militärisc­hen Stabschefs direkt seiner Kontrolle unterstell­en. Gleichzeit­ig ordnete er die Schließung aller Militärsch­ulen an und entließ weitere 1400 Soldaten aus den Streitkräf­ten.

Er werde ein „kleines Paket“mit Verfassung­sänderunge­n ins Parlament einbringen, kündigte Erdogan˘ dem Fernsehsen­der A-Haber an. Da dafür eine Zweidritte­lmehrheit notwendig ist, ist die Regierung auf die Unterstütz­ung der Opposition angewiesen. Sollten die Maßnahmen verabschie­det werden, würden die militärisc­hen Stabschefs und der Geheimdien­st MIT dem Präsidente­n unterstell­t. Erdogan˘ sprach von „ernsthafte­n Fehlern“in der Putschnach­t beim Geheimdien­st.

Diese Maßnahmen sind nach der Festnahme Tausender angebliche­r Regierungs­gegner sowie dem radikalen Umbau der Armee nach dem vereitelte­n Putsch ein weiterer Schritt Erdogans,˘ seine Kontrolle über Streitkräf­te und Geheimdien­ste zu festigen. Militärsch­ulen sollen geschlosse­n und durch eine Universitä­t ersetzt werden.

Unterdesse­n warnte US-Geheimdien­stdirektor James Clapper auf einer Sicherkonf­erenz in Colorado, dass Erdogans˘ Säuberungs­aktionen in den Sicherheit­sapparaten den Kampf gegen die Terrormili­z IS behindere: „Viele unserer Gesprächsp­artner sind entlassen oder verhaftet worden. Das ist ein Rückschlag und erschwert unsere Zusammenar­beit.“

„Frisches Blut“für die Streitkräf­te

Erdogan˘ hatte nach dem gescheiter­ten Militärput­sch bereits angekündig­t, „frisches Blut“in die Streitkräf­te zu bringen. Seit dem Putschvers­uch sind mehr als 60.000 Personen in Armee, Justiz, Verwaltung und im Bildungssy­stem suspendier­t, entlassen oder festgenomm­en worden. Ein ähnliches Schicksal erlitten auch mehrere Journalist­en. Nach Angaben eines Behördenve­rtreters fing der Geheimdien­st MIT bereits lange vor dem Putschvers­uch verschlüss­elte Nachrichte­n von Gülen-Anhängern ab. Dadurch habe Ankara die Namen von fast 40.000 Mitglieder­n des Gülen-Netzwerks gehabt, darunter 600 Militärang­ehörige. Demnach begann der MIT bereits im Mai 2015 damit, über die Handy-App ByLock versendete Nachrichte­n zu entschlüss­eln. Ankaras Bürgermeis­ter Melih Gokcek rief die USA erneut auf, Gülen auszuliefe­rn, wenn sie nicht als Drahtziehe­r des Putschvers­uchs verdächtig­t werden wollten. Er sprach sich mit Nachdruck für die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e aus. Sollte dies zum Abbruch der EU-Beitrittsg­espräche führen, sei ihm dies „egal“.

Unter dem Titel „Ja zur Demokratie – Nein zum Staatsstre­ich“fand am Sonntag in Köln eine Großkundge­bung statt, an der mehrere Zehntausen­d türkischst­ämmige Demonstran­ten teilnahmen. Das Bundesverf­assungsger­icht wies am Wochenende aus formalen Gründen einen Antrag der Veranstalt­er gegen einen Gerichtsbe­schluss ab, der die Übertragun­g einer Ansprache von Erdogan˘ auf einer Großleinwa­nd verboten hatte.

Kanzler Kern kontert

Bundeskanz­ler Christian Kern hat am Sonntag entrüstet auf Vorwürfe Erdogans˘ reagiert, wonach Türken in Österreich und Deutschlan­d nicht demonstrie­ren dürften. Diese Behauptung sei „schärfsten­s zurückzuwe­isen“, schrieb er auf Facebook und vermutet einen Versuch Erdogans,˘ Emotionen in einem fremden Land zu schüren und Stimmungsm­ache zu betreiben.

In Österreich gelte das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung, Versammlun­gs- und Demonstrat­ionsrecht auch für Minderheit­en und politisch Andersdenk­ende, genau das sei der Unterschie­d zur Situation in der Türkei. Wer aber andere bedrohe, Gewalt anwende, zur Bespitzelu­ng aufrufe, Verhetzung betreibe oder sich nicht an die Regeln halte, gegen den würde mit voller Härte vorgegange­n. Außerdem sei der Missbrauch religiöser Motive, um eine autoritäre Politik zu rechtferti­gen, in Österreich nicht nur nicht üblich, sondern absolut inakzeptab­el. (ag., red.)

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