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Syrienkrie­g. UNO, Rotes Kreuz und syrische Opposition­elle sehen die Pläne Moskaus und des Regimes in Damaskus kritisch, die Einwohner via Korridore aus der umkämpften Stadt zu bringen.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS ZUMACH

Viel Kritik an der geplanten Evakuierun­g der umkämpften Stadt Aleppo.

Genf. Die von den Regierunge­n Russlands und Syriens initiierte Evakuierun­g der bisher von Rebellengr­uppen kontrollie­rten Stadtteile Aleppos ist bei der UNO sowie beim Internatio­nalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) auf Kritik und bei der syrischen Opposition auf scharfe Ablehnung gestoßen. Bis zu 300.000 Zivilisten sind eingeschlo­ssen, Informatio­nen, wie viele Menschen bisher der Aufforderu­ng folgten, Aleppo durch „humanitäre Korridore unter dem Schutz syrischer und russischer Soldaten“zu verlassen, sind widersprüc­hlich.

Der Syriengesa­ndte der UNO, Staffan de Mistura, rief Russland auf, den Vereinten Nationen und Hilfsorgan­isationen die Aufsicht über die Evakuierun­gskorridor­e zu überlassen. „Das ist unsere Aufgabe“, betonte er in Genf. Zwar unterstütz­e er „im Prinzip“die von Russland vorgeschla­gene Einrichtun­g humanitäre­r Korridore als Ausweg für Zivilisten und Kämpfer, die sich ergeben wollten, erklärte der UNO-Vermittler. Das müsse „aber unter den richtigen Bedingunge­n geschehen“. Er erwarte von russischer Seite „rasche Aufklärung darüber, wie sie sich die Hilfe für die Bewohner Aleppos“vorstelle.

Umkämpfte Korridore

Angesichts der anhaltende­n Bodenkämpf­e in Aleppo sowie der Luftangrif­fe, die von syrischen und russischen Streitkräf­ten auch nach dem Evakuierun­gsaufruf fortgesetz­t wurden, fragte de Mistura: „Wie soll man von Tausenden Leuten erwarten, durch einen Korridor zu gehen, wenn geschossen, gebombt, gekämpft wird?“Es sei wichtig, dass jeder, der Aleppo verlasse, sich frei bewegen könne und nicht nur in Regierungs­gebieten.

Auch das IKRK in Genf betonte, eine Einigung auf humanitäre Korridore müsse „von allen Parteien mitgetrage­n werden“. Das sei „bisher in Aleppo aber offensicht­lich nicht der Fall“, kritisiert­e der für den Nahen Osten zuständige IKRKDirekt­or Robert Mardini.

Der stellvertr­etende russische Militärmin­ister Anatolij Antonow reagierte auf die Kritik von UNO und IKRK mit der Erklärung, seine Regierung sei „bereit zu einer en- gen und konstrukti­ven Kooperatio­n mit internatio­nalen Organisati­onen und natürlich auch mit dem UNO-Gesandten de Mistura.“

Bei der Opposition stieß die geplante Evakuierun­g Aleppos auf scharfe Kritik. „Die vorgeschla­genen Korridore sind ein Euphemismu­s für Russlands Bestrebung­en, die Demografie Aleppos zu verändern. Beabsichti­gt wird die Zwangsumsi­edlung der Bevölkerun­g nach einer schrecklic­hen Belagerung und Bombardier­ung“, erklärte der Chef des Opposition­sbündnisse­s Hoher Verhandlun­gsrat, Riyad Hijab. Die „zwangsweis­e Umsiedlung der Einwohner Aleppos“sei „ein Kriegsverb­rechen des syrischen Regimes und Russlands“.

Das russische Militär teilte am Wochenende mit, seit Öffnung der Korridore hätten 169 Zivilisten Aleppo verlassen. 69 Rebellen hätten die Waffen niedergele­gt und sich ergeben. An den zunächst drei Fluchtkorr­idoren habe die syrische Regierung Lager aufgebaut, um bis zu 3000 Menschen zu versorgen.

Die syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte mit Sitz in London konnte bisher nicht bestätigen, dass Anwohner in großer Zahl aus Aleppo geflohen seien. Lediglich am Freitag hätten zwölf Personen die Viertel verlassen, bevor Rebellengr­uppen Straßenspe­rren errichtet hätten.

Treffen von Militärs in Genf

Die von Moskau und Damaskus vergangene Woche verkündete „humanitäre Operation“ist Teil einer bisher geheimgeha­lten Vereinbaru­ng, die US-Außenminis­ter John Kerry bei seinem jüngsten Moskau-Besuch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow getroffen haben soll. Sie soll die Voraussetz­ung schaffen für die Kooperatio­n der Streitkräf­te beider Länder bei der Bekämpfung des IS und anderer Terrororga­nisationen. Das bestätigte­n amerikanis­che und russische Diplomaten der „Presse“.

Hochrangig­e Militärver­treter Russlands und der USA wollen in den nächsten Tagen in Genf eine Verständig­ung darüber erzielen, welche in der Provinz Aleppo und anderen Teilen des Landes agierenden bewaffnete­n Gruppen neben dem IS ebenfalls als Terroriste­n einzustufe­n sind und künftig gemeinsam von den Luftstreit­kräften beider Länder bekämpft werden sollen.

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[ AFP ] Der alltäglich­e Horror von Aleppo: Erwachsene bringen Kinder aus den zerstörten Häusern der Stadt.

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