Syrienkrieg. UNO, Rotes Kreuz und syrische Oppositionelle sehen die Pläne Moskaus und des Regimes in Damaskus kritisch, die Einwohner via Korridore aus der umkämpften Stadt zu bringen.
Viel Kritik an der geplanten Evakuierung der umkämpften Stadt Aleppo.
Genf. Die von den Regierungen Russlands und Syriens initiierte Evakuierung der bisher von Rebellengruppen kontrollierten Stadtteile Aleppos ist bei der UNO sowie beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) auf Kritik und bei der syrischen Opposition auf scharfe Ablehnung gestoßen. Bis zu 300.000 Zivilisten sind eingeschlossen, Informationen, wie viele Menschen bisher der Aufforderung folgten, Aleppo durch „humanitäre Korridore unter dem Schutz syrischer und russischer Soldaten“zu verlassen, sind widersprüchlich.
Der Syriengesandte der UNO, Staffan de Mistura, rief Russland auf, den Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen die Aufsicht über die Evakuierungskorridore zu überlassen. „Das ist unsere Aufgabe“, betonte er in Genf. Zwar unterstütze er „im Prinzip“die von Russland vorgeschlagene Einrichtung humanitärer Korridore als Ausweg für Zivilisten und Kämpfer, die sich ergeben wollten, erklärte der UNO-Vermittler. Das müsse „aber unter den richtigen Bedingungen geschehen“. Er erwarte von russischer Seite „rasche Aufklärung darüber, wie sie sich die Hilfe für die Bewohner Aleppos“vorstelle.
Umkämpfte Korridore
Angesichts der anhaltenden Bodenkämpfe in Aleppo sowie der Luftangriffe, die von syrischen und russischen Streitkräften auch nach dem Evakuierungsaufruf fortgesetzt wurden, fragte de Mistura: „Wie soll man von Tausenden Leuten erwarten, durch einen Korridor zu gehen, wenn geschossen, gebombt, gekämpft wird?“Es sei wichtig, dass jeder, der Aleppo verlasse, sich frei bewegen könne und nicht nur in Regierungsgebieten.
Auch das IKRK in Genf betonte, eine Einigung auf humanitäre Korridore müsse „von allen Parteien mitgetragen werden“. Das sei „bisher in Aleppo aber offensichtlich nicht der Fall“, kritisierte der für den Nahen Osten zuständige IKRKDirektor Robert Mardini.
Der stellvertretende russische Militärminister Anatolij Antonow reagierte auf die Kritik von UNO und IKRK mit der Erklärung, seine Regierung sei „bereit zu einer en- gen und konstruktiven Kooperation mit internationalen Organisationen und natürlich auch mit dem UNO-Gesandten de Mistura.“
Bei der Opposition stieß die geplante Evakuierung Aleppos auf scharfe Kritik. „Die vorgeschlagenen Korridore sind ein Euphemismus für Russlands Bestrebungen, die Demografie Aleppos zu verändern. Beabsichtigt wird die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung nach einer schrecklichen Belagerung und Bombardierung“, erklärte der Chef des Oppositionsbündnisses Hoher Verhandlungsrat, Riyad Hijab. Die „zwangsweise Umsiedlung der Einwohner Aleppos“sei „ein Kriegsverbrechen des syrischen Regimes und Russlands“.
Das russische Militär teilte am Wochenende mit, seit Öffnung der Korridore hätten 169 Zivilisten Aleppo verlassen. 69 Rebellen hätten die Waffen niedergelegt und sich ergeben. An den zunächst drei Fluchtkorridoren habe die syrische Regierung Lager aufgebaut, um bis zu 3000 Menschen zu versorgen.
Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London konnte bisher nicht bestätigen, dass Anwohner in großer Zahl aus Aleppo geflohen seien. Lediglich am Freitag hätten zwölf Personen die Viertel verlassen, bevor Rebellengruppen Straßensperren errichtet hätten.
Treffen von Militärs in Genf
Die von Moskau und Damaskus vergangene Woche verkündete „humanitäre Operation“ist Teil einer bisher geheimgehalten Vereinbarung, die US-Außenminister John Kerry bei seinem jüngsten Moskau-Besuch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow getroffen haben soll. Sie soll die Voraussetzung schaffen für die Kooperation der Streitkräfte beider Länder bei der Bekämpfung des IS und anderer Terrororganisationen. Das bestätigten amerikanische und russische Diplomaten der „Presse“.
Hochrangige Militärvertreter Russlands und der USA wollen in den nächsten Tagen in Genf eine Verständigung darüber erzielen, welche in der Provinz Aleppo und anderen Teilen des Landes agierenden bewaffneten Gruppen neben dem IS ebenfalls als Terroristen einzustufen sind und künftig gemeinsam von den Luftstreitkräften beider Länder bekämpft werden sollen.