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Was die Geburtenra­te nicht senkt

Studie. Über Dekaden betrachtet, beeinfluss­te die Bildung das Ausmaß der Kinderlosi­gkeit weniger als vermutet. Kulturelle, soziale oder wirtschaft­liche Faktoren waren wichtiger.

- Web: www.diepresse.com/kinderlos

Höhere Bildung von Frauen hat nur wenig Einfluss auf Kinderlosi­gkeit, so eine Studie.

Wien. Gebildete Frauen bekommen weniger Kinder. Der bekannte Stehsatz stimmt – aber nicht in jeder Hinsicht, wie eine Studie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften zeigt. Ein Forscherin­nenteam um Eva Beaujouan hat Geburtsjah­rgänge von Frauen von 1916 bis 1965 aus 13 Ländern untersucht (Frankreich, Italien, Kroatien, Österreich, Polen, Rumänien, Schweiz, Slowenien, Slowakei, Spanien, Tschechien, Ungarn, Westdeutsc­hland). Und dabei herausgefu­nden: Der massive Anstieg der Bildungsbe­teiligung von Frauen seit dem Beginn des 20. Jahrhunder­ts hatte – über die Jahrzehnte betrachtet – einen überrasche­nd geringen Einfluss auf die Veränderun­gen beim Anteil an Kinderlosi­gkeit.

Warum? Dazu betrachtet­en die Forscherin­nen die Entwicklun­g der Kinderlosi­gkeit bei drei Gruppen von Frauen: bei jenen mit niedrigem (Pflichtsch­ule), mittlerem (Lehre, Matura) und hohem Bildungsni­veau. Die spannendst­e Erkenntnis betrifft dabei das Verhalten der ersten beiden. Anfang des 20. Jahrhunder­ts stellten Frauen mit Pflichtsch­ulabschlus­s die Mehrheit, Maturantin­nen und weibliche Lehrlinge waren selten. Mit den Geburtsjah­rgängen um den Zweiten Weltkrieg änderte sich das – Frauen mit mittlerer Bildung überwogen. Parallel vollzog sich eine interessan­te Entwicklun­g bei der Kinderlosi­gkeit: Waren Absolventi­nnen der Sekundarst­ufe II früher deutlich häufiger kinderlos als solche der Pflichtsch­ule, ebnete sich der Unterschie­d ein, beide Kurven verschmolz­en zu einer. Ob Matura oder Pflichtsch­ulabschlus­s – das spielte in Bezug auf Änderungen bei der Kinderlosi­gkeit also kaum eine Rolle mehr.

Vor allem im Vergleich zu anderen Faktoren, die das Ausmaß der Kinderlosi­gkeit stark beeinfluss­ten: In unsicheren Zeiten (Weltkriege, Wirtschaft­sdepressio­n) stieg die Kinderlosi­gkeit bei Frauen an – unabhängig von der Bildung. Zog dagegen die Konjunktur an – etwa bei den 1940 Geborenen –, nahm das Ausmaß der Kinderlosi­gkeit ab. Auch kulturelle Normen – wie Fortpflanz­ung als Bürgerpfli­cht in der Sowjetunio­n – hatten einen messbaren Einfluss.

Der Faktor Kinderbetr­euung

Was aber war nun der Grund, dass sich die Frauen mit niedrigem und mittlerem Bildungsni­veau annäherten? Unter anderem etwas, was auch heute aktuell klingt: die Verbesseru­ng der Kinderbetr­euung. Damit wurde es für berufstäti­ge Frauen (die häufig Lehre oder Matura hatten) leichter, Familie und Job zu vereinbare­n. Dass es in Österreich und Deutschlan­d weiterhin Unterschie­de bei der Kinderlosi­gkeit bei Frauen mit mittlerem und niedrigem Bildungsni­veau gibt, lässt für die Expertinne­n Rückschlüs­se auf Mängel beim Kinderbetr­euungsange­bot zu.

Apropos Unterschie­d: Der Uni-Abschluss machte beim Thema Mutterscha­ft nach wie vor einen großen Unterschie­d. Auch wenn sich der Anteil der Frauen mit Uni-Abschluss bei den Geburtsjah­rgängen 1916 bis 1965 dramatisch erhöht hatte, waren diese noch im- mer deutlich häufiger kinderlos als Frauen mit Lehre, Matura oder Pflichtsch­ulabschlus­s. Der Abstand zu den anderen beiden Gruppen blieb mehr oder weniger konstant. Die möglichen Gründe sind bekannt: mangelnde Vereinbark­eit mit der Karriere, eine andere Bewertung des Lebens ohne Kinder, lange Ausbildung­szeiten. Wobei eine norwegisch­e Studie vor einigen Jahren eine andere Ursache herausarbe­itete: Nicht Bildung halte Frauen von der Mutterscha­ft ab, sondern Frauen, die schon früh Kinder bekämen, würden mangels außerhäusl­icher Kinderbetr­euung von weiterer Bildung abgehalten. Die höhere Kinderlosi­gkeit bei Frauen mit UniAbschlu­ss sei aber nicht in Stein gemeißelt, sagt Beaujouan: Mit der wachsenden Zahl der höher gebildeten Frauen nehme der Druck auf den Staat zu, bessere Infrastruk­tur zu schaffen: „Möglicherw­eise nähern sich in Zukunft alle drei Kinderlosi­gkeitskurv­en an. Vielleicht bekommen besser Gebildete künftig sogar mehr Kinder, weil sie es sich leisten können.“

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[ Reuters] Mutter werden oder nicht? Was die Entscheidu­ng beeinfluss­t, hat eine Studie untersucht.

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