Die Presse

Renzis Spiel mit Europa

Italien. Der Premier fordert einen „Neustart Europas“und ein „Ende der Austerität“. Hintergrun­d: Ein Konjunktur­programm vor dem Herbstrefe­rendum soll sein politische­s Überleben sichern.

- VON KARL GAULHOFER

Der italienisc­he Premier, Matteo Renzi, will mit einem Konjunktur­programm seine politische Zukunft sichern.

Wien/Rom. Matteo Renzi weiß sich in Szene zu setzen. Der italienisc­he Premier nutze sein Treffen mit der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, und Frankreich­s Präsident, Francois¸ Hollande, um eine neue Rolle zu proben: als Retter der EU. Am Grab eines Vordenkers der europäisch­en Einigung legte man auf der Insel Ventotente einen Kranz nieder. Dann galt es, „die Neuerfindu­ng Europas von Grund auf zu diskutiere­n“. Die offizielle­n Themen waren der Brexit und die Flüchtling­skrise. Aber italienisc­he Medien feierten das Treffen als Ende der Sparpoliti­k. In Renzis Worten: „Europa ist die warmherzig­e Mutter unserer Werte, nicht der eiskalte Wächter von bürokratis­chen Regeln, die schwierig zu akzeptiere­n sind.“Der Poesie entkleidet, bedeutet das: Italiens Regierungs­chef will die Prinzipien des Stabilität­spakts und der eben erst eingeführt­en Bankenunio­n über Bord werfen. Vor allem soll mehr Flexibilit­ät eine hohe Neuverschu­ldung erlauben.

Tatsächlic­h steht Renzi zu Hause mit dem Rücken zur Wand. Die italienisc­he Wirtschaft hat im zweiten Quartal eine Vollbremsu­ng vollzogen. Nach drei Jahren Rezession hat sie sich seit Beginn des Vorjahres zaghaft erholt, nun kommt das Wachstum ganz zum Erliegen. Die schwere Krise des Bankensekt­ors lässt sich nach der Flucht vieler Investoren nicht mehr unter den Tisch kehren. Renzi muss im Herbst ein Referendum überstehen. Eigentlich geht es um die Entmachtun­g des Senats, der in der Vergangenh­eit viele Reformen blockiert hat. Aber der als Erneuerer angetreten­e Premier verknüpfte das Votum, als er noch sehr populär war, mit seinem politische­n Schicksal. „Ein Fehler“, wie er am Sonntag zugab. Um vor der Volksabsti­mmung noch einmal Stimmung zu machen, will Renzi ein großes, durch neue Schulden finanziert­es Konjunktur­paket vorle- gen – und das, obwohl die Staatsschu­ldenquote mit 135 Prozent einen neuen Rekordstan­d erreicht, der in Europa nur von Griechenla­nd übertroffe­n wird.

Bankenunio­n als Zankapfel

Lang haben die Finanzmärk­te diesen bedrohlich­en Schuldenbe­rg akzeptiert, ohne nervös zu werden. Denn Italien ist weniger als andere Volkswirts­chaften von der unsicheren Gunst internatio­naler Investoren angewiesen. Inländisch­e Banken und private Anleger halten einen großen Anteil der Staatsanle­ihen (ein wenig wie in Japan), viele Kleinanleg­er zudem Anleihen der Banken. Viele regionale Institute sind wiederum eng mit der Politik verflochte­n, die bisher im Notfall einsprang. So hielt sich das System lang in einer heiklen Balance.

Bis die EU-Bankenunio­n kam. Nach den neuen Regeln seit Jahresbegi­nn müssen zuerst Eigentümer und Anleihengl­äubiger einen Bei- trag zur Rekapitali­sierung eines maroden Instituts leisten. In den meisten EU-Staaten sind das großteils institutio­nelle Investoren, die solche Verluste leicht verkraften. In Italien aber geht es auch um Hunderttau­sende Kleinanleg­er und deren Altersvors­orge. Ihnen dürfte der Staat freilich auch nach den neuen EU-Richtlinie rasch unter die Arme greifen. Aber darauf will Renzi es nicht ankommen lassen. Denn schon bei der ersten echten Bankinsolv­enz würde das politische Erdbeben ausbrechen – mit dem Palazzo Chigi, seinem Amtssitz, als Epizentrum.

Die Bankenkris­e ist freilich nur das akute Symptom eines langsamen Niedergang­s der italienisc­hen Wirtschaft. Die schwere Bürde von 300 Mrd. Euro an faulen Krediten hat sich ganz allmählich angesammel­t. Schon seit drei Jahrzehnte­n wächst die Produktivi­tät langsamer als in fast allen entwickelt­en Volkswirts­chaften. Heute ist die Wirt- schaftslei­stung nicht höher also zur Jahrtausen­dwende. Den Höchstwert des BIPs vor der Krise wird Italien nach den Prognosen des Internatio­nalen Währungsfo­nds erst Mitte des kommenden Jahrzehnts wieder erreichen; die Eurozone als Ganzes sollte dann schon wieder 20 bis 25 Prozent darüber liegen.

Die tieferen Ursachen: Korruption, eine lahme Justiz und eine Bürokratie, die unternehme­rische Initiative erstickt. Da wollen auch Renzis durchaus beherzte Reformen auf dem Arbeitsmar­kt nicht recht greifen. Als es noch die Lira gab, konnte Italien eine schwächere Wettbewerb­sfähigkeit durch Abwertunge­n abfedern – weshalb die immer erfolgreic­here Protestpar­tei Movimento Cinque Stelle nun gegen den Euro mobilmacht. Renzi aber ist ein Freund Europas, wenn auch nur als „warmherzig­e Mutter“. Vom „eisigen“Fundament der Verträge, die diese Union zusammenha­lten, hält er wenig.

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[ Reuters] Auch wenn sich Matteo Renzi als Retter Europas in Szene setzt: Zuhause wird es um Italiens Premier recht einsam.

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