Die Presse

Der türkische Kleinkrieg mit Österreich wird langsam lächerlich

Öcalan-Fahnen haben in Wien nichts verloren. Aber dass Ankara wegen einer kurdischen Mini-Demo die Beziehunge­n zu Österreich infrage stellt, ist absurd.

- E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

Die türkische Staatsführ­ung durchlebt gerade eine cholerisch­e Phase. Bis zu einem gewissen Grad ist das psychologi­sch nachvollzi­ehbar – als gestresste Reaktion auf eine akute Überforder­ung. Um ein Haar wäre Präsident Erdogan˘ am 15. Juli weggeputsc­ht worden. Nicht nur das: Die Türkei führt derzeit einen Zweifronte­nkrieg gegen die kurdische PKK und gegen den jihadistis­chen IS. Kaum eine Woche vergeht ohne Terroransc­hläge. Zu allem Überdruss liegt die Türkei im Streit mit ihren langjährig­en amerikanis­chen Nato-Verbündete­n und Mitgliedst­aaten der EU, die scharfe Kritik an den willkürlic­hen Verhaftung­en und Repression­en seit dem gescheiter­ten Staatsstre­ich üben.

Es ist alles in Bewegung in diesem geostrateg­isch wichtigen Land: In einem waghalsige­n außenpolit­ischen Manöver hat sich Erdogan˘ nicht nur vom Westen ab- und Russland wieder zugewendet, sondern auch einen Kurswechse­l in Syrien eingeleite­t. Der türkische Präsident hat es nach einer realpoliti­schen Kaltdusche a` la russe im sechsten Jahr des syrischen Bürgerkrie­gs plötzlich nicht mehr so eilig, den Machthaber in Damaskus zu stürzen.

Es kann also niemand behaupten, die Türkei sei im Moment außen-, innen- oder auch wirtschaft­spolitisch unterbesch­äftigt. Umso erstaunlic­her ist es, dass die Regierung in Ankara noch Zeit und Muße findet, diplomatis­che Kleinkrieg­e mit einem weltpoliti­sch unbedeuten­den Akteur wie Österreich zu führen. Zu Beginn der Woche kam der Geschäftst­räger der Botschaft in Ankara zu der Ehre, zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit ins türkische Außenminis­terium zitiert zu werden. Vor einer Woche hatte eine Schlagzeil­e der „Kronen Zeitung“im News-Ticker auf dem Flughafen Schwechat („Türkei erlaubt Sex mit Kindern unter 15“) missfallen, diesmal erregte eine Kundgebung in Wien Ärgernis: Am Samstag waren 300 Kurden, begleitet von 300 Polizisten übrigens, über die Ringstraße gezogen. Das Motto ihrer gut bewachten Veranstalt­ung: „Demonstrat­ion gegen Menschenre­chtsverlet­zungen und die Isolation von Abdullah Öcalan“. Sie schwenkten dabei auch Fahnen mit dem Konterfei des inhaftiert­en PKK-Führers Öcalan.

Die PKK, eine eher altstalini­stisch denn demokratis­ch organisier­te Bewe- gung, führt in diesen Tagen wieder einen Guerillakr­ieg gegen die türkische Armee. Es lässt sich darüber streiten, wie und warum die bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen wieder eskaliert sind. Der Wiederwahl der regierende­n AKP von Präsident Erdogan˘ hat das Ende des Waffenstil­lstands und des Dialogs mit den Kurden nicht geschadet, ebenso wenig wie den Hardlinern in der Rebellengr­uppe. Fest steht aber auch, dass die PKK von der EU und den USA nach wie vor als Terrororga­nisation gelistet wird, auch wenn ihre Kämpfer an vorderster Front gegen die Terrormili­z IS angetreten sind.

In diesem Zusammenha­ng ist es das gute Recht der Türkei, ihren Unmut darüber zu äußern, dass dem Führer der PKK in Wien offen gehuldigt wird. Auch wenn es hierzuland­e achselzuck­end als Teil kurdischer Folklore hingenomme­n wird: Öcalan-Fahnen haben auf Österreich­s Straßen nichts verloren. Das Versammlun­gsrecht jedoch darf und soll die Republik nicht einschränk­en. Die Demonstrat­ion war ordnungsge­mäß angemeldet, und zwar nicht von der PKK. E s ist übertriebe­n, den türkischen Botschafte­r deshalb zu Konsultati­onen zurückzube­ordern. Ins Neurotisch­e gleitet es jedoch ab, wenn Außenminis­ter C¸avus¸og˘lu behauptet, dass nun „die bisherigen Gründe für die Aufrechter­haltung“der Beziehunge­n mit Österreich „entfallen“seien. Will der Mann, der Österreich in einem Anfall verwirrter Wutrhetori­k unlängst als „Zentrum des Rassismus“bezeichnet hat, wegen einer kurdischen Mini-Demo die Beziehunge­n zu Österreich abbrechen?

Die Bundesregi­erung, die ihrerseits zuletzt kaum eine Gelegenhei­t ausließ, mit Türkei-Bashing innenpolit­isch zu punkten, nimmt solche Äußerungen zu Recht nicht besonders ernst. C¸avus¸og˘lu wird sich schon beruhigen. Profession­ell sind solche Überreakti­onen aber nicht. Gerade in unruhigen Zeiten wie diesen wäre die Türkei gut beraten, an ihrer diplomatis­chen Finesse zu feilen – und ihre Prioritäte­n richtig zu setzen. Sie hat andere Probleme als Österreich.

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VON CHRISTIAN ULTSCH

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