Die Presse

Schicksals­monat für den SPD-Chef

Deutschlan­d. Sigmar Gabriel will als Kanzlerkan­didat der SPD nächstes Jahr gegen Angela Merkel antreten, doch zuletzt hat er Konkurrenz bekommen. Die Entscheidu­ng fällt noch im September.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS PRIOR

Berlin. Unlängst, bei einer Hafenrundf­ahrt in Rostock mit Sigmar Gabriel: Ein Journalist wollte vom SPD-Chef wissen, ob er denn glaube, dass CDU und CSU nächstes Jahr bei der Bundestags­wahl einen gemeinsame­n Kanzlerkan­didaten aufstellte­n. Das sei ja nun wirklich Sache der Union, antwortete Gabriel. Die nächste Frage lag dann irgendwie auf der Hand, ein anderer Journalist stellte sie – halb feixend, halb ernst: Ob eigentlich die SPD einen gemeinsame­n Kanzlerkan­didaten nominieren werde?

Man kann vorwegnehm­en: Sie wird. Die Frage ist nur, ob er Sigmar Gabriel heißen wird. Der September ist für den SPD-Vorsitzend­en in etwa das, was der April für seinen ehemaligen österreich­ischen Kollegen Werner Faymann war: ein Schicksals­monat, in dem sich seine politische Zukunft entscheide­n wird. Auch Gabriel ist in seiner Partei umstritten. Und das Programm der nächsten Wochen birgt eine ganze Reihe Risiken für ihn.

Zunächst muss der 56-Jährige um zwei Bundesländ­er zittern. Am 4. September wird in Mecklenbur­gVorpommer­n ein neues Landesparl­ament gewählt, zwei Wochen später ist Berlin an der Reihe. Da wie dort ist die SPD in den Umfragen auf einen historisch­en Tiefstand abgestürzt, auch wenn sie sich zuletzt wieder ein bisschen erholt hat.

In der Hauptstadt, in der Bürgermeis­ter Michael Müller um sein Amt und Platz eins für die Sozialdemo­kraten kämpft, ist die schlechte Datenlage weitgehend hausgemach­t. Aber wenn die SPD mit dem langjährig­en und noch immer populären Kandidaten Erwin Sellering Mecklenbur­g-Vorpommern verlierte, würde die Schuldfrag­e wohl zu Gabriels Ungunsten geklärt.

Widerstand gegen Ceta

Und dann wäre da noch der Parteikonv­ent am Tag nach der BerlinWahl (19. September) in Wolfsburg, bei dem die SPD über das europäisch-kanadische Freihandel­sabkommen Ceta abstimmt. Als Wirtschaft­sminister ist Gabriel dafür mitverantw­ortlich. Und im Gegensatz zum EU-USA-Abkommen TTIP, bei dem der Parteichef schon relativ früh einsehen musste, dass es in der SPD nicht durchzuset­zen sein wird, hat er für Ceta intensiv geworben.

Doch in seiner Partei gibt es auch gegen den Freihandel mit Kanada große Bedenken. Man sorgt sich um die Arbeitnehm­errechte und hinterfrag­t die vielen Gremien, allen voran den „Gemischten CetaAussch­uss“, der vom EU-Handelskom­missar und vom kanadische­n Handelsmin­ister geleitet werden soll. Demokratis­ch sei dieser Ausschuss nicht legitimier­t, heißt es nicht nur im linken SPD-Flügel.

Die Landesverb­ände in Bayern und Bremen sowie die Jusos haben sich schon gegen Ceta positionie­rt. Anderswo ist die Stimmung auf der Kippe. Sollten die SPD-Delegierte­n gegen Ceta stimmen, wäre Gabriels Autorität infrage gestellt. Kanzlerkan­didat könnte er dann nicht mehr werden, und auch als Parteichef wäre er wohl kaum zu halten.

Erschweren­d kommt hinzu, dass sich die Gefechtsla­ge in der Chefetage der SPD verändert hat. Bis vor einigen Monaten war kaum jemand geneigt, sich im Herbst 2017 die erwartbare Niederlage ge- gen Angela Merkel abzuholen, auch Gabriel nicht. Doch mit ihrer offenen Flüchtling­spolitik hat die Kanzlerin dramatisch an Zustimmung eingebüßt. Und jetzt rechnet sich nicht nur Gabriel Chancen aus.

Schulz möglicher Nachfolger

In den deutschen Medien werden bereits mögliche Nachfolger kolportier­t. Der eine heißt Olaf Scholz und ist Hamburgs Erster Bürgermeis­ter. Der andere ist EU-Parlaments­präsident Martin Schulz. Beide haben angedeutet oder andeuten lassen, dass sie im Bedarfsfal­l zur Verfügung stünden. Im Hintergrun­d sollen Scholz und Schulz auch schon eifrig in eigener Sache lobbyieren.

Gabriel will in der K-Frage daher möglichst schnell eine Entscheidu­ng erzwingen. Zuletzt absolviert­e er eine Sommertour durchs Land, um die Stimmung – auch in den eigenen Reihen – auszuloten. Dabei schlug er neue Töne an. Immer öfter hörte man den eher marktfreun­dlichen SPD-Chef zuletzt über die fehlende soziale Balance von Gerhard Schröders Arbeitsmar­ktreformen („Agenda 2010“) klagen – und über den globalen Finanzkapi­talismus, der ohnehin an allem schuld sei. Manche sprechen bereits von einer Linkswende Gabriels. Auch das kommt nicht überall in der SPD gut an. Man ärgert sich über die Sprunghaft­igkeit des Parteichef­s.

Noch kann aber alles anders kommen. Wenn die SPD Mecklenbur­g-Vorpommern und Berlin hält. Wenn Gabriel Ceta durchbring­t. So schnell könnte ihn dann nichts mehr zu Fall bringen. Dann wäre er als Kanzlerkan­didat gebucht.

Im Lauf des Septembers wird sich entscheide­n, ob Sigmar Gabriel bei der Bundestags­wahl 2017 Kanzlerkan­didat der SPD wird – und wohl auch, ob er Parteichef bleibt. Abhängen wird das vom Ausgang der Landtagswa­hlen in Mecklenbur­g-Vorpommern (4. September) und Berlin (18. September) bzw. von der SPD-Abstimmung über Ceta am Tag nach der Berlin-Wahl. Als Wirtschaft­sminister hat Gabriel intensiv für das europäisch-kanadische Freihandel­sabkommen geworben. Doch in seiner Partei mehren sich die Zweifel.

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[ AP ] Bleibt Sigmar Gabriel im roten Chefsessel oder nicht? Das ist in Berlin die Frage.

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