Die Presse

Flucht aus „Friedhof der Kuscheltie­re“

Gazastreif­en. Die Tierschutz­gruppe Vier Pfoten hat die letzten überlebend­en Tiere des Zoos von Khan Younis, des angeblich „schrecklic­hsten Zoos der Welt“, in Sicherheit gebracht.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL (KHAN YOUNIS)

Für Laziz, den Tiger, kommt die Rettung in höchster Not. All seine Freunde, die Raubkatzen im Zoo von Khan Younis ganz im Süden des Gazastreif­ens, sind schon tot. Sie sind verhungert und in der Hitze mumifizier­t, weil es kein Geld gab für Futter und artgerecht­e Versorgung. Laziz, zu Deutsch „der Süße!“, wird heute, Mittwoch, via Israel nach Südafrika reisen, zum Lionsrock, einem Großkatzen­refugium, das laut Webseite Bedingunge­n „fast wie in freier Wildbahn“bereithält.

Manch Palästinen­ser mag den Transport mit Wehmut, ja Neid beobachten. Umfragen zeigen, dass jeder zweite Bewohner des Gazastreif­ens, wo dicht zusammenge­drängt und von der Außenwelt weitgehend isoliert rund 1,9 Millionen Menschen leben, wegziehen will. Ohne Sondererla­ubnis kommt indes kein Mensch raus aus dem im Norden von Israel und im Süden von Ägypten abgeschott­eten Küstenstre­ifen, den seit Jahren die islamistis­che Hamas kontrollie­rt.

Tierleben sind völlig egal

Ein Dutzend Mitarbeite­r der internatio­nalen Tierschutz­gruppe Vier Pfoten war dieser Tage nun angereist, um die letzten 15 Tiere aus dem „schrecklic­hsten Zoo der Welt“zu retten, wie ihn Tierarzt Amir Khalil nennt. Er schüttelt den Kopf über die Ignoranz und Hartherzig­keit des Zoobesitze­rs, der erst nach langwierig­en Verhandlun­gen der Räumung des desolaten Ortes zugestimmt hatte.

„Die Leute hier wissen einfach nicht, wie sie die Tiere behandeln müssen.“Im Gazastreif­en sind Tiere gesetzlich nicht vor Misshandlu­ngen geschützt. Es gibt keinen staatliche­n Zoo, dafür aber mehrere private Gehege mit Tieren, die meist durch illegale Tunnel aus Ägypten eingeschmu­ggelt worden sind und kaum artgerecht­e Behandlung erfahren.

Laziz ist der letzte Tiger, der Gaza verlässt. Schon nach dem Krieg mit Israel vor zwei Jahren, als viele Tiere durch Luftangrif­fe und Panzerbesc­huss umkamen und die Überlebend­en in den oftmals zerstörten Gehegen in Bedrängnis gerieten, konnte Tierarzt Khalil drei Löwen aus dem Al-Bisan-Zoo im Norden Gazas retten und nach Jordanien bringen. Seit 22 Jahren ist er als Projektent­wickler für Vier Pfoten in Wien aktiv. Auf seine Initiative geht die Aktion in Khan Younis zurück, die Tausende Euro gekostet habe und nur mithilfe von Spenden finanzierb­ar gewesen sei.

Mumifizier­t kommt billiger

Für die meisten Zootiere kommt die Hilfe aber zu spät. Vierzig sind allein heuer verendet, darunter Tiger, eine Löwin und als Letztes ein Rehkitz. Der skrupellos­e Halter des privaten Geheges war überforder­t und plante offenbar, sämtliche Tiere einfach mumifizier­t zur Schau zu stellen. Khalil berichtet über Schulklass­en, denen die toten Tiger vorgeführt wurden. Es war „ein Friedhof für Kuscheltie­re“, sagt er, und dass er so etwas Schrecklic­hes noch nie gesehen habe.

Khalil geht es bei der Aktion in Khan Younis um mehr als die bloße Rettung der 15 Tiere: „Im Gazastreif­en gibt es ganze zwölf Tierärzte“, berichtet er, fast alle seien im Gesundheit­samt angestellt. Eine veterinärm­edizinisch­e Fakultät sei lang überfällig, dazu Schutzgese­tze für Tiere.

Laziz steht mit dem Flug nach Johannesbu­rg die weiteste Reise der Geretteten bevor. Fünf Schimpanse­n sollen in ein israelisch­es Affengeheg­e unweit vom Flughafen Ben-Gurion kommen. Ein Emu, ein Hirsch, zwei Schildkröt­en, ein Pelikan und mehrere andere Vögel sind für einen jordanisch­en Zoo vorgesehen. Veterinär Khalil ist positiv überrascht von der Hilfsberei­tschaft und Kooperatio­n zwischen den Palästinen­sern, den Jordaniern und Israelis. Wenn es um das Wohl der geknechtet­en Vierbeiner geht, klappe die Zusammenar­beit plötzlich ganz gut, sagt er zufrieden.

Die Menschen leiden weiter

Die Leute in Gaza lassen Tiger Laziz und die Affen mit einem lachenden, aber auch einem weinenden Auge gehen. „Sie nehmen uns unsere Tiere weg“, schimpft ein Palästinen­ser halb im Scherz auf die jungen Tierschütz­er aus Europa. Das Ende des Zoos von Khan Younis ist dessen ungeachtet eine gute Nachricht für die geretteten Tiere. Für die zurückblei­benden Palästinen­ser wird das Leben im Gazastreif­en ohne den Tierpark halt noch ein Stück weit trostloser.

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[ Reuters ] Ein Vier-Pfoten-Mitarbeite­r trägt ein narkotisie­rtes Äffchen aus dem Gehege. Es soll es fernab des Gazastreif­ens besser haben.

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