Die Presse

„Schüler sollen lernen, sich auszudrück­en“

Internatio­nal. Edward Fidoe war Schauspiel­er, Theaterpro­duzent und Berater – und hat in London eine Schule gegründet. Dort lernen benachteil­igte Schüler unter anderem: reden. 20 andere britische Schulen ziehen bald nach.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Alpbach. Edward Fidoe (38) hat eine eher ungewöhnli­che Biografie: Er war einst Schauspiel­er, Theaterpro­duzent und Berater bei McKinsey – und hat vor vier Jahren im Londoner East End eine Schule gegründet. Dort lernen seine Schüler unter anderem zu reden. Sich auszudrück­en, ihre Meinung zu sagen.

Die Idee, eine Schule zu gründen, sei bei ihm nach und nach gereift, erzählt Fidoe im Gespräch mit der „Presse“. Schon als Kind habe er Schauspiel­erfahrung gesammelt und dort viel gelernt. Neben dem Technikstu­dium habe er weiterhin Theater gespielt und gemerkt, wie sehr das seinen Blick auf die Dinge veränderte – im Vergleich zu dem mancher Studienkol­legen, die viel starrere Zugänge hatten. „Da habe ich gemerkt, was man in der Schule lernt und was man noch alles lernen kann. Und dass es nicht reicht, wenn das nur per Zufall passiert.“

Eine Schule zu gründen würde aber Geld kosten. Also ging er nach einigen Jahren am Theater als Berater zu McKinsey, um Geld zu ver- dienen. Das er gar nicht brauchte, weil die konservati­v-liberale britische Regierung im Jahr 2010 unter dem Schlagwort „Free Schools“ermöglicht­e, eine Schule zu gründen und pro Schüler Geld vom Staat zu bekommen. „Am Tag nach dieser Ankündigun­g habe ich bei McKinsey gekündigt“, erzählt Fidoe. Und mit der Arbeit an „School 21“begonnen. „Wir wollten sie in einem Stadtteil aufsperren, in dem wir einen echten Unterschie­d machen können, und nicht in einer privilegie­rten Gegend“, sagt er. Jetzt ist sie in Stratford, beim Londoner Olympiapar­k. Zwei Drittel der 750 Schüler – im Vollausbau sollen es 1200 Vier- bis 18-Jährige sein, es ist also eine richtige Gesamtschu­le – stammen aus Familien mit niedrigem Einkommen. Fast alle haben ausländisc­he Wurzeln, viele von ihnen sprechen zu Hause nicht Englisch.

Vier Wörter pro Schulstund­e

„Die meisten unserer Schüler können fließend Englisch“, sagt Fidoe. „Aber zu Hause fehlen ihnen die sprachlich­en Vorbilder, vor allem in den benachteil­igten Familien ist das so.“Das ist einer der Gründe, warum er Wert auf das Sprechen legt. „Normalerwe­ise sagt ein Schüler in einer Schulstund­e durchschni­ttlich nur vier Wörter“, sagt Fidoe. „Wir schaffen eine Menge von verschiede­nen Kontexten, bei denen unsere Schüler reden.“Mit elf Jahren müssen sie eine fünfminüti­ge Rede über etwas halten, was sie begeistert. Ältere Schüler werden dazu aufgeforde­rt, Protestbri­efe und Petitionen zu schreiben: Einmal ging es um Guantanamo,´ einmal um den Textilkonz­ern Mango.

Sich ausdrücken zu können sei genauso wichtig wie Schreiben und Lesen, sagt Fidoe. Denn nur dann seien Schüler auch fähig zu sagen, was ihnen wichtig ist; sie finden ihre Stimme. Und das wiederum ist zentral für ihre Zukunft – sei es bei einer Uni-Bewerbung, sei es in der Arbeitswel­t. Das findet Gehör: 20 andere englische Schulen übernehmen das Konzept ab September.

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