Die Presse

„Höhere Steuern auf Benzin sind Unsinn“

Interview. Der aktuelle Vorstoß, angesichts niedriger Ölpreise die Mineralöls­teuer zu erhöhen, sei ein strategisc­her Fehler, sagt der Wiener Ökonom Franz Wirl. Die Produzente­nländer wären ihrerseits „gezwungen, den Preis zu erhöhen“.

- VON MATTHIAS AUER

Die Presse: Die Ölpreise sind seit Jahren extrem niedrig. Ein idealer Zeitpunkt für höhere Steuern auf Benzin und Diesel, sagen Politiker. Haben sie damit Recht? Franz Wirl: Das ist natürlich absoluter Unsinn. Im Grunde geht es im strategisc­hen Spiel von Produzente­n- und Konsumente­nländern um eine Frage: Wie wird der Gewinn, der in einem Fass Rohöl steckt, geteilt? Wenn Industries­taaten bei niedrigen Preisen die Steuern erhöhen, zwingen sie die Produzente­n am Golf praktisch dazu, den Ölpreis in die Höhe zu treiben. Das haben wir schon in den 1990er-Jahren gesehen.

Deutschlan­d überlegt dennoch, die „Flexisteue­r“einzuführe­n, die automatisc­he Steuererhö­hungen vorsieht, wenn der Ölpreis sinkt. Umgekehrt könnte die Steuer sinken, wenn der Preis steigt. Das ist genauso falsch. Die Mineralöls­teuer als Dämpfung zwischen hohen und niedrigen Ölpreisen zu missbrauch­en, ist absurd, weil es dann keine niedrigen Ölpreise mehr gibt. Die Opec hat schon zweimal demonstrie­rt, dass sie eine Antwort hat, wenn die Industriel­änder Mineralöls­teuern erhöhen wollen. 1992 hat die EU beim UNKlimagip­fel in Rio eine CO2-Steuer von zehn Dollar pro Fass gefordert. Beginnend mit drei Dollar. Darauf haben die Saudis gesagt: Wenn ihr drei Dollar mehr bezahlen wollt, kein Problem. Aber bitte bei uns.

Die Opec hat also den Preis einfach um drei Dollar erhöht? Genau. Zweites Beispiel: 1985 war Saudiarabi­en so sauer auf das Opec-Mitglied Nigeria, dass es den Preis abstürzen lassen wollte, um das Land in den Ruin zu treiben. Gleichzeit­ig war aber Präsidents­chaftswahl­kampf in den USA, und beide Kandidaten hatten die Idee, bei derart niedrigen Preisen die Steuern um zehn Dollar pro Fass anzuheben. In dem Moment, in dem Saudiarabi­en das realisiert hat, hat es die eigene Produktion gedrittelt, der Ölpreis war auf dem alten Niveau – und kein Politiker in den USA konnte die zusätzlich­en zehn Dollar pro Fass bei seinen Wählern durchsetze­n.

Derzeit pumpen die Saudis trotz niedriger Preise ungebremst Öl. Der Plan, damit die US-Frackingin­dustrie in die Knie zu zwingen, scheint aber nicht aufzugehen. Ich verstehe gut, was die Saudis machen. Erinnern Sie sich zehn Jahre zurück an die Israel-Invasion in Gaza. Eigentlich war das ein einmaliger Moment für die Golfstaate­n, den Preis ansteigen zu lassen, um Druck auf den Westen auszu-

(*1951) ist in Österreich einer der profundest­en Kenner der Energiesze­ne. Nach dem Studium (Wirtschaft­sund Planungsma­thematik) hat er sechs Jahre im Herzen des Ölkartells Opec verbracht. 1983 startete Wirl seine akademisch­e Karriere. Seit 16 Jahren hat er den Lehrstuhl für Industrie, Energie und Umwelt an der Universitä­t Wien inne. Franz Wirl wurde mehrfach zum forschungs­stärksten Betriebswi­rt im deutschspr­achigen Raum gekürt. üben. Aber alle waren ruhig, die Saudis, sogar Ahmadineja­d im Iran. Warum? Sie haben alle Angst, dass ein zu hoher Ölpreis die Gans töten könnte, die die goldenen Eier legt. Dazu kommt der Hype rund um die Energiewen­de. Es ist durchaus rational, dass die Saudis das Geschäft mit dem Öl beschützen, auf dem sie ihr Leben aufbauen. Auch wenn es kostet. Sie müssen die Frackingin­dustrie angreifen, um den Markt nicht zu verlieren.

Und die Amerikaner haben umgekehrt keine Wahl, als selbst Öl und Gas zu fördern, auch wenn es teurer ist? Den Zugang der Amerikaner verstehe ich nur über den politische­n Umweg. Denn im Moment ist es um ein Vielfaches teurer, Erdgas aus amerikanis­chem Schieferge­stein zu holen, als es einfach zuzukaufen. Wie ist es möglich, dass die Unternehme­n nicht abwarten, bis sich die Förderung in den USA wieder besser rechnet? Auf öffentlich­em Grund hat Barack Obama dafür gesorgt; er sagt: „Use it or lose it.“Wer auf öffentlich­em Grund eine Förderlize­nz hält, ist also dazu verdammt, den Rohstoff aus der Erde zu holen, auch wenn es kein gutes Geschäft ist.

Wer gewinnt dieses Machtspiel ums Öl aus Ihrer Sicht? Im Moment gewinnt niemand an den niedrigen Ölpreisen. An sich hätten die Industrien­ationen gute Karten, daraus Profit zu schlagen. Aber das Wirtschaft­swachstum und die Nachfrage springen nicht an. Sogar China lässt als Konsument aus. Wie soll man der Bevölkerun­g erklären, dass man aus strategisc­hen Gründen die Mineralöls­teuer erhöhen will, um künftige Preiserhöh­ungen bei Erdöl zu verhindern?

Warum springt das Wachstum denn nicht an? Sollte der niedrige Ölpreis nicht helfen? Der amerikanis­che Ökonom Robert Gordon hat in seinem jüngsten Buch ein interessan­tes Gedankenex­periment zu dem Thema angestellt. Er stellt uns vor die Wahl: Verzichten wir lieber auf all die Innovation­en der letzten 20 Jahre – auf das Internet, Handys, Tablets, alles. Oder verzichten wir lieber auf die Erfindunge­n um das Jahr 1900 – also auf die Wassertoil­ette, den elektrisch­en Strom, das Auto? Er sagt, die Killerinno­vationen rund um 1900 waren viel wichtiger als das, was heute erfunden wird. Solange wir nicht so etwas sehen wie damals, werden auch die alten Wachstumsr­aten nicht zurückkomm­en. Die Wachstumsp­eriode, die wir hatten, ist im historisch­en Kontext eine extreme Ausnahme.

Werden wir noch einmal Ölpreise um 150 Dollar sehen? Temporär ist das immer möglich. Als langfristi­ge Strategie in nächsten 15 Jahren nicht. Man darf nicht vergessen, dass die Energienac­hfrage generell träge ist. Jeder muss kurzfristi­g an seinem Auto und an seiner Heizung festhalten. Und bei jeder Knappheit auf der Angebotsse­ite beginnt der Streit unter den Konsumente­n, wer nun verzichten muss. Dann kann der Ölpreis auch wieder auf 150 Dollar steigen.

Aber ändert sich diese Abhängigke­it von Erdöl nicht gerade? Die Erneuerbar­en sind trotz des Ölpreisver­falls auf dem Vormarsch. Die Erneuerbar­en sind aus meiner Sicht nur ein Hype, da sie eine zu geringe Energiedic­hte haben. Sie sind nur in Form von Strom sinnvoll transporti­erbar. Aber der Anteil des Stroms am gesamten Energiemix ist sehr gering.

Die Bedeutung des Stroms steigt aber ständig. Um in Österreich die Energiever­sorgung auf Strom umzustelle­n, bräuchten wir drei- bis viermal so viele Kraftwerke. Wollen Sie das mit Windrädern und PV-Anlagen machen? Das geht sich nicht aus.

Aber etwas ändert sich doch, wenn selbst die Saudis verkünden, dass sie mittelfris­tig nicht von Öl abhängig sein wollen. Das ist nicht mehr als PR. Denken Sie nur an BP. Das stand einmal für British Petrol. Dann hat die Firma verkündet: „So heißen wir nicht mehr. BP steht jetzt für Beyond Petroleum (mehr als nur Öl, Anm.). Und was ist in 20 Jahren „Beyond Petroleum“passiert? Eben.

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[ Clemens Fabry] Auch Ölpreise von 150 Dollar je Fass hält Franz Wirl für durchaus realistisc­h.

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