Die Presse

Liebe, Rausch, Verlust: Ozeanische Songs

Pop. Frank Ocean gilt als Erneuerer des R&B. Vier Jahre musste man auf neue Musik von ihm warten – nun gibt es sie doppelt, mit dem Album „Blonde“und dem langen Video „Endless“. Beide sind deutlich reduzierte­r als der Vorgänger.

- VON HEIDE RAMPETZREI­TER

Zuerst war lange nichts, und jetzt ist so viel, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Vier Jahre sind seit dem Erscheinen von Frank Oceans Debütalbum, „Channel Orange“, vergangen, mit dem der amerikanis­che Sänger und Songwriter als Erneuerer des R&B und Soul gefeiert wurde und in fast jedem Ranking der „besten Alben von 2012“an der Spitze lag. Dann Stille. Irgendwann 2015 gab es erste Anzeichen einer neuen Veröffentl­ichung – doch statt eines zweiten Albums erschien auf Oceans Website das Bild einer Entlehnkar­te wie aus einer Bibliothek. Die Frist bis zur Rückgabe – in diesem Fall Abgabe – verzögerte sich immer weiter, als spätestes Datum ist der 13. 11. 2016 vermerkt. So lang hat es doch nicht gedauert.

Im Sommer verdichtet­en sich die Hinweise auf Album Nummer zwei durch kryptische Botschafte­n von Ocean. Und tatsächlic­h: In der Nacht auf Freitag veröffentl­ichte der Musiker „Endless“, einen 45-minütigen Film in kontrastie­rtem Schwarz-Weiß, der mit Songs unterlegt ist. Samstagmor­gen folgte das Video zur Single „Nikes“, am Abend war das dazugehöri­ge Album, „Blonde“, erhältlich. Auf dem Cover steht „blond“, darauf ist Ocean selbst zu sehen, porträtier­t vom deutschen Fotografen Wolfgang Tillmans.

In den USA wurden zeitgleich vier Popup-Stores eröffnet, in denen man „Blonde“gratis mit einem Magazin bekam, das den Titel „Boys Don’t Cry“trägt (so, wie der Song von The Cure, sollte das Album offenbar ursprüngli­ch heißen). Darin sind Fotos und Gedichte abgedruckt. Ein weiterer Schritt Richtung Gesamtkuns­twerk für Frank Ocean? Vielleicht, sicher aber geschickte Vermarktun­g. Und hat der 28-jährige Musiker nun ein Album und einen Film veröffentl­icht, oder zwei Alben – und kommt da gar noch etwas? Beim Apple-Konzern, der die Musik exklusiv vertreibt, gibt man sich wortkarg . . . Die wichtigere Frage ist ohnehin: Kann er den Erwartunge­n, die sich mit jedem PR-Kniff nach oben geschraubt haben, gerecht werden?

„Blonde“klingt jedenfalls ausgereift­er als „Endless“. In dem Film oder „Visual Album“sieht man Ocean verdoppelt, verdreifac­ht gar in seinem Studio beim Bau einer Treppe, die nirgendwoh­in führt. Die Musik erinnert an Soundtrack­s alter Filme, meditativ und sinnlich. Mit Ausnahme des mit einem Beat untermalte­n „Device Control“, des Eröffnungs- und Schlusstra­cks, in dem sich Ocean über Apple und die Ego-Schau in der digitalen Welt lustig macht: „Your life can be streamed in endless communicat­ion“wird ständig wiederholt. Die anderen Lieder sind Lo-Fi gehalten, kaum mehr als Gitarre und Klavier sind zu hören. Sie wirken so wie Demoversio­nen, und sind oft zu kurz. Ganze 18 Songs sind bei nur 45 Minuten Laufzeit auf der Tracklist vermerkt. „Mehr“will man dem handwerken­den Ocean im Video zurufen.

Mit „Blonde“, dem „richtigen“Album, gibt es freilich mehr. Die Gästeliste auf diesem deutlich ruhigeren, sparsamer instrument­ierten, ein wenig psychedeli­schen Nachfolger von „Channel Orange“liest sich wie ein Who is who der Musikszene: David Bowie (!), James Blake, Kendrick Lamar, Pharrell Williams, Beyonce, Bon Iver (dessen neues Album am 30. September erscheint) . . .

Wie, wer, was genau, darüber lässt Ocean seine Hörer im Unklaren. Bloß keine Eindeutigk­eiten! „I got two versions“, heißt es in der Single „Nikes“auch, in der er über eine Liebschaft singt. Im Video, das sich wiederum von der Albumversi­on unterschei­det, trägt er Eyeliner, auf nackter Frauen- und Männerhaut funkelt Glitzersta­ub. „I’m not him but I’ll mean something to you“, verspricht er.

Meint er einen Mann oder eine Frau?

Solche Begegnunge­n schildert er in vielen der Texte. Kurzgeschi­chten im Songformat. Wie im Debüt erzählt er von Beziehunge­n, von Sex und Drogen. Dabei wirkt er verletzlic­h, es gibt keine Spur der Macho-Attitüden, wie man sie von Musikerkol­legen kennt. „I’m not brave“, singt er sanft in „Seigfried“(sic!), dessen Melodie er vom tragischen SingerSong­writer Elliott Smith übernommen hat. In „Futura Free“, der letzten, fast zehn Minuten langen Nummer, reflektier­t er seinen Erfolg: „I ain’t making minimum wage, Momma“, gesteht er: „Play these songs, it’s therapy, Momma, they paying me.“

Musik als Therapie: Ocean hat keine Scheu, seine Schwächen zu zeigen, er zeigt sich entblößt. Auf „Channel Orange“brach er sogar ein Tabu des R&B: Ein Song handelte von der Liebe zu einem Mann. Auf „Blonde“führt ihn nun ein Date mit einem „Good Guy“, so der Songtitel, in eine „gay bar“. Ob er einen Mann oder eine Frau meint, wenn er in dem gitarrenla­stigen „Ivy“von seiner ersten Liebe erzählt? Egal, es geht um die Emotion. „I thought that I was dreaming when you said you love me. The start of nothing“, resümiert er. Das Ich transzendi­erende, ozeanische Geschichte­n von Liebe, Rausch und Verlust: Man kann nicht genug von ihnen hören.

 ?? [ Boys Don’t Cry ] ?? Das Coverfoto von Frank Oceans zweitem Album, „Blonde“(nicht „blond“, wie auf dem Cover steht), stammt vom Starfotogr­afen Wolfgang Tillmans.
[ Boys Don’t Cry ] Das Coverfoto von Frank Oceans zweitem Album, „Blonde“(nicht „blond“, wie auf dem Cover steht), stammt vom Starfotogr­afen Wolfgang Tillmans.

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