Die Presse

Das Loch in einer Straße und die Wiener Stadterwei­terung

- VON WOLFGANG FREITAG E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

D ie Prandaugas­se hat ein Loch. Das, mag man einwerfen, sei nichts Besonderes angesichts des Zustands mancher Straßenbel­äge zu Wien. Das Loch der Prandaugas­se allerdings, unweit der U1-Station Kagran, ist keineswegs straßenbel­agsoberflä­chlicher Natur, sondern eines, das geeignet ist, die Identität eines Straßenzug­s bis ins Innerste zu erschütter­n. Was wäre das für eine Straße, die scheinbar endet – und dann doch, freilich gut 50 Meter Richtung Südwesten versetzt, eine Fortsetzun­g findet?

Und was erst soll uns die Hausnummer­ierung sagen? Folgt man dem Stadtplan, kommt Prandaugas­se 2 zwischen Prandaugas­se 160 und Prandaugas­se 268 zu liegen, Prandaugas­se 3 wiederum zwischen Prandaugas­se 299 und Prandaugas­se 984, und dass solcher Zahlenzaub­er sich in der Ort-und-Stellen-Wirklichke­it nicht wiederfind­et, macht das Mysterium noch ein Stück mysteriöse­r. Abgesehen davon, dass Hausnummer 984 in einer Straße, die insgesamt knapp 700 Meter lang ist, doch etwas übertriebe­n scheint.

Immerhin, was in der Prandaugas­sen-Wirklichke­it wohl am längsten wirklich war, lässt sich leicht erkennen: das Haus Nummer 60, das hier als einziges noch eine Ahnung von k. u. k. an sich trägt. Jahrzehnte­lang stand es einsam mitten in den Äckern, was ihm unter alten Kagranern die Bezeichnun­g Luftballon­haus eintrug. Dabei war es nichts weiter als Vorbote dessen, was eigentlich nächstens folgen sollte: Schließlic­h zeigt sich das Gebiet zwischen Floridsdor­f und Wagramer Straße schon im Generalsta­dtplan von 1912 mit einem Straßenras­ter überzogen, Prandaugas­se inklusive, der von naher Verbauung kündet. Doch der Erste Weltkrieg kam, das Haus Prandaugas­se 60 blieb allein, Ahnherr einer Stadterwei­terung, die erst Jahrzehnte später folgte – und die Prandaugas­se in Stücke brach. Das Donaufeld, nördlich anschließe­nd, wartet noch darauf, dass geschieht, was vor 100 Jahren schon hätte geschehen können. Ob wir 100 Jahre klüger geworden sind, wird dort demnächst zu sehen sein.

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[ Freitag ] Eine Ahnung von k. u. k.: Prandaugas­se 60, Donaustadt.
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