Wertschöpfungsabgabe: Im Blindflug zu mehr Steuern?
Gastkommentar. Banken, Großhandel und Freie Berufe sollen Arbeitsplätze anderer Branchen quersubventionieren.
Ziel des SPÖ-Konzepts für eine Wertschöpfungsabgabe ist die Reduktion der Lohnnebenkosten. In einem ersten Schritt ist die Verbreiterung der Besteuerungsbasis des Dienstgeberbeitrags (DB) nach dem Familienlastenausgleichsgesetz geplant. Zusätzlich zu der (bisher erfassten) Lohnsumme sollen Fremdkapitalzinsen, Mieten, Pachtzinse und Gewinne vor Steuern besteuert werden.
Entgegen den früheren WifoModellen, die im Auftrag der Bundesarbeiterkammer und des Sozialministers erstellt wurden, bleiben Abschreibungen ausgespart, offenkundig, um Investitionen nicht zu behindern und dem Vorwurf der fortschrittsfeindlichen Maschinensteuer vorzubeugen. Die Erweiterung der Basis ist mit einer Absenkung des Beitragssatzes von 4,5 Prozent auf drei Prozent verbunden, um per Saldo Steuermehreinnahmen zu vermeiden.
Unternehmen mit viel Personal würden profitieren, kapitalintensive Betriebe höher belastet. Gewinner sind laut SPÖ-Konzept die Industrie, das metallverarbeitende Gewerbe und das Bauwesen. Zu den Verlierern sollen die freien Berufe, Banken und der Großhandel zählen. Die Verlagerung betrage zwei bis 2,5 Mrd. Euro. Später will die SPÖ auch Kranken- und Pensionsversicherungsbeiträge gleichartig umschichten.
Verkappte Steuererhöhung?
Das Konzept gibt einige Rätsel auf: Die Wifo-Studie 2008 hat eine Absenkung der Kommunalsteuer und des DB von acht Prozent auf 3,6 Prozent – also um 55 Prozent – für aufkommensneutral gehalten. Das SPÖ-Konzept sieht nur eine Absenkung um 33 Prozent vor. Dies soll eine bemerkenswert „präzise“mit zwei bis 2,5 Mrd. Euro bezifferte Reduktion der Lohnnebenkosten ausgleichen.
Doch im Jahr 2015 hat der Fiskus Dienstgeberbeiträge von 5,62 Mrd. Euro eingenommen, eine Absenkung um ein Drittel sollte daher nur 1,87 Mrd. Euro kosten. Werden hier Schätzungsprobleme mit einem Sicherheitszuschlag zulasten der Steuerpflichtigen „bewältigt“? Die Beschränkung auf einen Testlauf nur beim DB verstärkt diesen Verdacht.
Wie sollen zwei bis 2,5 Mrd. Euro bei den genannten Verlierern eingetrieben werden?
Die Bankenabgabe wurde gerade erst reduziert. Warum? Um die durch Basel III jährlich geforderte Eigenmittelaufstockung zu erleichtern, die angesichts eines generell schwachen und vor allem nicht bankenfreundlichen Kapitalmarktes nur aus Gewinnen bewirkt werden kann. Die gegenwärtige Zinsenlandschaft sowie geringe Zinsenmargen haben die Gewinne aus dem Kreditgeschäft drastisch reduziert. Aufwandszinsen, also die „Einkaufspreise“der Banken, will aber nicht einmal die SPÖ mit zusätzlichen drei Prozent besteuern.
Vielmehr soll „die besondere Betroffenheit von Banken und Versicherungen entsprechend berücksichtigt werden“. In welcher Höhe bleibt offen, naturgemäß auch die dadurch bewirkte Belastungsumverteilung auf die anderen Verlierer.
Ob Rechtsanwälte, Steuerberater, Ziviltechniker sowie selbstständige Ärzte gemeinsam mit den Großhandelsunternehmen den Fehlbetrag auf „zwei bis 2,5 Mrd.“aufbringen können, ist komplett offen. Für sie bewirkt die (steuerlich wie der DB absetzbare) Abgabe eine Erhöhung der ohnehin bereits im internationalen Spitzenfeld liegenden Einkommensbesteuerung um circa 1,5 bis 2,25 Prozentpunkte – und das, obwohl Freiberufler zweifelsfrei nicht zu den „kapitalintensiven Betrieben“zählen, die nach dem SPÖ-Konzept Arbeitsplätze anderer Betriebe quersubventionieren sollen.
Im Ergebnis werden Beiträge – also Entgelte für Transferleistungen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz – durch höhere Steuern der Klientel des politischen Gegners ersetzt. Nach den insoweit durchaus plausiblen SPÖ-Schätzungen soll der DB-Aufwand von Anwaltskanzleien um 200 Prozent, jener von Ärzten um 300 Prozent steigen.
Bei anderen Dienstleistern soll der DB um circa 260 Prozent steigen. Zumal der Dienstleistungssektor mehr als 75 Prozent der Arbeitsplätze stellt – keine sinnvolle Folge eines Konzepts zur Mehrbelastung kapitalintensiver Betriebe mit wenig Personal. Laut Wifo zählt auch die Landwirtschaft zu den massiven Verlierern.
Hinzu kommen Prognoseunsicherheiten: Das Wifo-Zahlenmaterial ist kaum verwertbar, weil dieses neben dem DB auch die Kommunalsteuer erfasst und auch Abschreibungen in die Basis einbezieht. Das BMF hält Aussagen über Be- und Entlastung von Branchen angesichts der unscharfen Statistiken überhaupt für problematisch. Die Unterschiede innerhalb der Branchen seien größer als zwischen den Branchen. Angesichts der Gewinnabhängigkeit der neuen Abga- be eine durchaus plausible Beurteilung. Kurzum: Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind höchst ungewiss, nur das einzelne Unternehmen kann berechnen, ob es zu den Gewinnern oder Verlierern zählt.
Eine unintelligente Steuer
Während die Lohnabgaben von den Dienstgebern aufgrund der (unstrittigen) Lohnsumme berechnet und abgeführt werden, birgt die neue Abgabe alle Ermittlungs- und Einhebungsprobleme einer Gewinnsteuer: Die Bemessungsgrundlage hängt von Bewertungen ab, die Festsetzung ist erst im folgenden Wirtschaftsjahr möglich. Bereits das Wifo hat auf die Notwendigkeit von Vorauszahlungen und nachträglichen Steuerfestsetzungen hingewiesen.
Wie bei der unter dem SPÖ-Finanzminister Lacina abgeschafften, strukturähnlichen Gewerbesteuer müssten Verluste vortragsfähig sein, Doppelbesteuerungen bei Finanzierungen und Vermietungen im Konzern vermieden werden. Neue Steuergestaltungen werden auftreten: Trägt eine ausländische Konzerngesellschaft die Fremdkapitalzinsen und stellt der inländischen Gesellschaft Eigenkapital zur Verfügung, kann die Bemessungsgrundlage reduziert werden. Folgeregelungen gegen Doppelbesteuerung und Gestaltungsmissbrauch sind abzusehen. Wieder einmal Komplexitätssteigerung anstatt der vielfach beschworenen Steuervereinfachung.
Nur Italien und Frankreich kennen vergleichbare Belastungen. International stünde die neue Abgabe fast allein da. Für ausländische Investoren wäre sie ein schwer zu kalkulierendes Unikum. Zwar sollen Abschreibungen frei bleiben, doch auch die Besteuerung der Finanzierung wirkt investitions- und fortschrittshemmend. Nachdem Österreich durch den neuen Höchststeuersatz von 55 Prozent endgültig zur Spitze der Hochsteuerländer aufgeschlossen hat, ein weiterer schwarzer Punkt in den Standortrankings.
Wer in der Restlaufzeit von SPÖ/ÖVP mutige Reformen erwartet hat, wird enttäuscht: Statt Investitionsförderung, Deregulierung, Einsparungen zur Abmilderung des Hochsteuerstaates und Pensionsreform soll die Abgabenbelastung umverteilt werden. In Deutschland, wo das Konzept der Wertschöpfungsabgabe vor 60 Jahren entwickelt, aber nie ernsthaft angegangen wurde, meinte jüngst der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann: „Die Debatte um die Robotersteuer lenkt von den zentralen Herausforderungen ab.“