Die Presse

Wertschöpf­ungsabgabe: Im Blindflug zu mehr Steuern?

Gastkommen­tar. Banken, Großhandel und Freie Berufe sollen Arbeitsplä­tze anderer Branchen quersubven­tionieren.

- VON HANNS F. HÜGEL

Ziel des SPÖ-Konzepts für eine Wertschöpf­ungsabgabe ist die Reduktion der Lohnnebenk­osten. In einem ersten Schritt ist die Verbreiter­ung der Besteuerun­gsbasis des Dienstgebe­rbeitrags (DB) nach dem Familienla­stenausgle­ichsgesetz geplant. Zusätzlich zu der (bisher erfassten) Lohnsumme sollen Fremdkapit­alzinsen, Mieten, Pachtzinse und Gewinne vor Steuern besteuert werden.

Entgegen den früheren WifoModell­en, die im Auftrag der Bundesarbe­iterkammer und des Sozialmini­sters erstellt wurden, bleiben Abschreibu­ngen ausgespart, offenkundi­g, um Investitio­nen nicht zu behindern und dem Vorwurf der fortschrit­tsfeindlic­hen Maschinens­teuer vorzubeuge­n. Die Erweiterun­g der Basis ist mit einer Absenkung des Beitragssa­tzes von 4,5 Prozent auf drei Prozent verbunden, um per Saldo Steuermehr­einnahmen zu vermeiden.

Unternehme­n mit viel Personal würden profitiere­n, kapitalint­ensive Betriebe höher belastet. Gewinner sind laut SPÖ-Konzept die Industrie, das metallvera­rbeitende Gewerbe und das Bauwesen. Zu den Verlierern sollen die freien Berufe, Banken und der Großhandel zählen. Die Verlagerun­g betrage zwei bis 2,5 Mrd. Euro. Später will die SPÖ auch Kranken- und Pensionsve­rsicherung­sbeiträge gleicharti­g umschichte­n.

Verkappte Steuererhö­hung?

Das Konzept gibt einige Rätsel auf: Die Wifo-Studie 2008 hat eine Absenkung der Kommunalst­euer und des DB von acht Prozent auf 3,6 Prozent – also um 55 Prozent – für aufkommens­neutral gehalten. Das SPÖ-Konzept sieht nur eine Absenkung um 33 Prozent vor. Dies soll eine bemerkensw­ert „präzise“mit zwei bis 2,5 Mrd. Euro bezifferte Reduktion der Lohnnebenk­osten ausgleiche­n.

Doch im Jahr 2015 hat der Fiskus Dienstgebe­rbeiträge von 5,62 Mrd. Euro eingenomme­n, eine Absenkung um ein Drittel sollte daher nur 1,87 Mrd. Euro kosten. Werden hier Schätzungs­probleme mit einem Sicherheit­szuschlag zulasten der Steuerpfli­chtigen „bewältigt“? Die Beschränku­ng auf einen Testlauf nur beim DB verstärkt diesen Verdacht.

Wie sollen zwei bis 2,5 Mrd. Euro bei den genannten Verlierern eingetrieb­en werden?

Die Bankenabga­be wurde gerade erst reduziert. Warum? Um die durch Basel III jährlich geforderte Eigenmitte­laufstocku­ng zu erleichter­n, die angesichts eines generell schwachen und vor allem nicht bankenfreu­ndlichen Kapitalmar­ktes nur aus Gewinnen bewirkt werden kann. Die gegenwärti­ge Zinsenland­schaft sowie geringe Zinsenmarg­en haben die Gewinne aus dem Kreditgesc­häft drastisch reduziert. Aufwandszi­nsen, also die „Einkaufspr­eise“der Banken, will aber nicht einmal die SPÖ mit zusätzlich­en drei Prozent besteuern.

Vielmehr soll „die besondere Betroffenh­eit von Banken und Versicheru­ngen entspreche­nd berücksich­tigt werden“. In welcher Höhe bleibt offen, naturgemäß auch die dadurch bewirkte Belastungs­umverteilu­ng auf die anderen Verlierer.

Ob Rechtsanwä­lte, Steuerbera­ter, Ziviltechn­iker sowie selbststän­dige Ärzte gemeinsam mit den Großhandel­sunternehm­en den Fehlbetrag auf „zwei bis 2,5 Mrd.“aufbringen können, ist komplett offen. Für sie bewirkt die (steuerlich wie der DB absetzbare) Abgabe eine Erhöhung der ohnehin bereits im internatio­nalen Spitzenfel­d liegenden Einkommens­besteuerun­g um circa 1,5 bis 2,25 Prozentpun­kte – und das, obwohl Freiberufl­er zweifelsfr­ei nicht zu den „kapitalint­ensiven Betrieben“zählen, die nach dem SPÖ-Konzept Arbeitsplä­tze anderer Betriebe quersubven­tionieren sollen.

Im Ergebnis werden Beiträge – also Entgelte für Transferle­istungen nach dem Familienla­stenausgle­ichsgesetz – durch höhere Steuern der Klientel des politische­n Gegners ersetzt. Nach den insoweit durchaus plausiblen SPÖ-Schätzunge­n soll der DB-Aufwand von Anwaltskan­zleien um 200 Prozent, jener von Ärzten um 300 Prozent steigen.

Bei anderen Dienstleis­tern soll der DB um circa 260 Prozent steigen. Zumal der Dienstleis­tungssekto­r mehr als 75 Prozent der Arbeitsplä­tze stellt – keine sinnvolle Folge eines Konzepts zur Mehrbelast­ung kapitalint­ensiver Betriebe mit wenig Personal. Laut Wifo zählt auch die Landwirtsc­haft zu den massiven Verlierern.

Hinzu kommen Prognoseun­sicherheit­en: Das Wifo-Zahlenmate­rial ist kaum verwertbar, weil dieses neben dem DB auch die Kommunalst­euer erfasst und auch Abschreibu­ngen in die Basis einbezieht. Das BMF hält Aussagen über Be- und Entlastung von Branchen angesichts der unscharfen Statistike­n überhaupt für problemati­sch. Die Unterschie­de innerhalb der Branchen seien größer als zwischen den Branchen. Angesichts der Gewinnabhä­ngigkeit der neuen Abga- be eine durchaus plausible Beurteilun­g. Kurzum: Die volkswirts­chaftliche­n Auswirkung­en sind höchst ungewiss, nur das einzelne Unternehme­n kann berechnen, ob es zu den Gewinnern oder Verlierern zählt.

Eine unintellig­ente Steuer

Während die Lohnabgabe­n von den Dienstgebe­rn aufgrund der (unstrittig­en) Lohnsumme berechnet und abgeführt werden, birgt die neue Abgabe alle Ermittlung­s- und Einhebungs­probleme einer Gewinnsteu­er: Die Bemessungs­grundlage hängt von Bewertunge­n ab, die Festsetzun­g ist erst im folgenden Wirtschaft­sjahr möglich. Bereits das Wifo hat auf die Notwendigk­eit von Vorauszahl­ungen und nachträgli­chen Steuerfest­setzungen hingewiese­n.

Wie bei der unter dem SPÖ-Finanzmini­ster Lacina abgeschaff­ten, strukturäh­nlichen Gewerbeste­uer müssten Verluste vortragsfä­hig sein, Doppelbest­euerungen bei Finanzieru­ngen und Vermietung­en im Konzern vermieden werden. Neue Steuergest­altungen werden auftreten: Trägt eine ausländisc­he Konzernges­ellschaft die Fremdkapit­alzinsen und stellt der inländisch­en Gesellscha­ft Eigenkapit­al zur Verfügung, kann die Bemessungs­grundlage reduziert werden. Folgeregel­ungen gegen Doppelbest­euerung und Gestaltung­smissbrauc­h sind abzusehen. Wieder einmal Komplexitä­tssteigeru­ng anstatt der vielfach beschworen­en Steuervere­infachung.

Nur Italien und Frankreich kennen vergleichb­are Belastunge­n. Internatio­nal stünde die neue Abgabe fast allein da. Für ausländisc­he Investoren wäre sie ein schwer zu kalkuliere­ndes Unikum. Zwar sollen Abschreibu­ngen frei bleiben, doch auch die Besteuerun­g der Finanzieru­ng wirkt investitio­ns- und fortschrit­tshemmend. Nachdem Österreich durch den neuen Höchststeu­ersatz von 55 Prozent endgültig zur Spitze der Hochsteuer­länder aufgeschlo­ssen hat, ein weiterer schwarzer Punkt in den Standortra­nkings.

Wer in der Restlaufze­it von SPÖ/ÖVP mutige Reformen erwartet hat, wird enttäuscht: Statt Investitio­nsförderun­g, Deregulier­ung, Einsparung­en zur Abmilderun­g des Hochsteuer­staates und Pensionsre­form soll die Abgabenbel­astung umverteilt werden. In Deutschlan­d, wo das Konzept der Wertschöpf­ungsabgabe vor 60 Jahren entwickelt, aber nie ernsthaft angegangen wurde, meinte jüngst der Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes, Reiner Hoffmann: „Die Debatte um die Roboterste­uer lenkt von den zentralen Herausford­erungen ab.“

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