Die Presse

Die Gurus des politische­n Islam

Gastkommen­tar. In der Türkei ist das Projekt „Moderater Islam“gescheiter­t. In Zentralasi­en sind die Gülen-Schulen aktiv.

- VON HÜLYA TEKTAS Hülya Tektas ist Kurdin, geboren und aufgewachs­en in Istanbul. Sie lebt seit 1998 in Wien. Die Soziologin arbeitet zurzeit als Sozialbera­terin und freie Journalist­in. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Einst setzten die USA auf den sogenannte­n Grünen Gürtel, auf die radikalen Islamisten, um die Verbreitun­g des Kommunismu­s im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern. Als der Kommunismu­s schon längst vorbei war und die radikalen Islamisten mittlerwei­le zu einer weit größeren Gefahr geworden waren, schien die Idee der Etablierun­g eines moderaten Islam eine Lösung für die Probleme in der islamisch geprägten Region darzustell­en.

So schlug 1999 der Nahostexpe­rte und ehemalige hochrangig­e CIA-Beamte Graham E. Fuller folgendes neues Modell für den Nahen Osten vor: einen im Kapitalism­us integriert­en Islam. Denn solange die Mechanisme­n des neoliberal­en Systems funktionie­ren, sollte es wohl niemanden kümmern, ob in einem Land Schariarec­ht oder Laizismus gilt.

Ungefähr zeitgleich zu Fullers Vorschlag begann der Aufstieg des politische­n Islam in der Türkei. Das Land, in dem im Gegensatz zu anderen Staaten in der islamische­n Region demokratis­che Strukturen bestanden, Religion vergleichs­weise kaum Bedeutung für den Staat hatte, wiewohl der Großteil der Bevölkerun­g sich zum Islam bekannte, war geradezu ein Musterkand­idat für das Projekt „Moderater Islam“.

Aufschwung der AKP

2001 wurde dann die AKP aus den Reformflüg­eln der verbotenen islamisch-konservati­ven Tugendpart­ei gegründet. Bereits 2003 erhielt die AKP unter Führung von Recep Tayyip Erdogan˘ bei den Wahlen mehr als ein Drittel der Stimmen und stellte daraufhin die Regierung. Die enge Zusammenar­beit zwischen der islamisch-reformisti­schen Nur-Bewegung und der AKP stellte den Höhepunkt dieses Zeitgeists in der Türkei dar.

Die Türkei spielte bis in die 2000er-Jahre aufgrund ihrer westlichen Orientieru­ng und ihres Säkularism­us immer eine Sonderroll­e innerhalb der islamische­n Welt. So übernahm die AKP die Vorreiterr­olle bei der Etablierun­g eines Modells, bei dem es galt, den Islam und globales Kapital gleicherma­ßen einzusetze­n. Die islamischo­rientierte Partei versöhnte aber auch die Türkei mit (einem Teil) der islamische­n Welt und führte das Kapital der islamische­n Elite in die globalen Märkte ein.

Gleichzeit­ig wurde Fethullah Gülen der Bildungsau­ftrag auferlegt. Er war mit seinen vom Nahen Osten über Kaukasien bis in den Fernen Osten reichenden Privatschu­len für die Entstehung einer neuen Generation von Moslems zuständig: intellektu­ell, weltoffen, politisch interessie­rt, USA-freundlich – und islamisch geprägt.

Ende eines Paktes

Zwar bestimmen Gülen und Staatschef Erdogan˘ noch immer die Tagesordnu­ng im Nahen und Mittleren Osten und mischen dort in jeder Hinsicht kräftig mit; dennoch ist das Projekt „Moderater Islam“in der Türkei als gescheiter­t zu betrachten. Es ist offiziell bekannt, dass Erdogans˘ Türkei radikale Islamisten unterstütz­t. Aufgrund des versuchten Putsches ist auch der Pakt zwischen den beiden Gurus des politische­n Islam endgültig vorbei.

Nun werden im Kampf David gegen Goliath die alten Fronten des Kalten Krieges wieder hochgezoge­n. Gülen, der seit 1999 in den USA lebt, genießt deren Schutz. Erdogan˘ nähert sich Russland an. Hinter den Kulissen geht es den beiden großen Weltmächte­n jedoch um viel Wichtigere­s – unter anderem auch um die Zukunft der Gülen-Schulen in Zentralasi­en.

Diese Schulen, die zum Zweck des Kampfes gegen radikale Islamisten auf der einen Seite, Russland und China auf der anderen Seite gegründet worden waren, brachten in Kaukasien Generation­en von Absolvente­n hervor, die heute in den wichtigste­n Denkfabrik­en der islamische­n Welt sitzen.

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