Die Gurus des politischen Islam
Gastkommentar. In der Türkei ist das Projekt „Moderater Islam“gescheitert. In Zentralasien sind die Gülen-Schulen aktiv.
Einst setzten die USA auf den sogenannten Grünen Gürtel, auf die radikalen Islamisten, um die Verbreitung des Kommunismus im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern. Als der Kommunismus schon längst vorbei war und die radikalen Islamisten mittlerweile zu einer weit größeren Gefahr geworden waren, schien die Idee der Etablierung eines moderaten Islam eine Lösung für die Probleme in der islamisch geprägten Region darzustellen.
So schlug 1999 der Nahostexperte und ehemalige hochrangige CIA-Beamte Graham E. Fuller folgendes neues Modell für den Nahen Osten vor: einen im Kapitalismus integrierten Islam. Denn solange die Mechanismen des neoliberalen Systems funktionieren, sollte es wohl niemanden kümmern, ob in einem Land Schariarecht oder Laizismus gilt.
Ungefähr zeitgleich zu Fullers Vorschlag begann der Aufstieg des politischen Islam in der Türkei. Das Land, in dem im Gegensatz zu anderen Staaten in der islamischen Region demokratische Strukturen bestanden, Religion vergleichsweise kaum Bedeutung für den Staat hatte, wiewohl der Großteil der Bevölkerung sich zum Islam bekannte, war geradezu ein Musterkandidat für das Projekt „Moderater Islam“.
Aufschwung der AKP
2001 wurde dann die AKP aus den Reformflügeln der verbotenen islamisch-konservativen Tugendpartei gegründet. Bereits 2003 erhielt die AKP unter Führung von Recep Tayyip Erdogan˘ bei den Wahlen mehr als ein Drittel der Stimmen und stellte daraufhin die Regierung. Die enge Zusammenarbeit zwischen der islamisch-reformistischen Nur-Bewegung und der AKP stellte den Höhepunkt dieses Zeitgeists in der Türkei dar.
Die Türkei spielte bis in die 2000er-Jahre aufgrund ihrer westlichen Orientierung und ihres Säkularismus immer eine Sonderrolle innerhalb der islamischen Welt. So übernahm die AKP die Vorreiterrolle bei der Etablierung eines Modells, bei dem es galt, den Islam und globales Kapital gleichermaßen einzusetzen. Die islamischorientierte Partei versöhnte aber auch die Türkei mit (einem Teil) der islamischen Welt und führte das Kapital der islamischen Elite in die globalen Märkte ein.
Gleichzeitig wurde Fethullah Gülen der Bildungsauftrag auferlegt. Er war mit seinen vom Nahen Osten über Kaukasien bis in den Fernen Osten reichenden Privatschulen für die Entstehung einer neuen Generation von Moslems zuständig: intellektuell, weltoffen, politisch interessiert, USA-freundlich – und islamisch geprägt.
Ende eines Paktes
Zwar bestimmen Gülen und Staatschef Erdogan˘ noch immer die Tagesordnung im Nahen und Mittleren Osten und mischen dort in jeder Hinsicht kräftig mit; dennoch ist das Projekt „Moderater Islam“in der Türkei als gescheitert zu betrachten. Es ist offiziell bekannt, dass Erdogans˘ Türkei radikale Islamisten unterstützt. Aufgrund des versuchten Putsches ist auch der Pakt zwischen den beiden Gurus des politischen Islam endgültig vorbei.
Nun werden im Kampf David gegen Goliath die alten Fronten des Kalten Krieges wieder hochgezogen. Gülen, der seit 1999 in den USA lebt, genießt deren Schutz. Erdogan˘ nähert sich Russland an. Hinter den Kulissen geht es den beiden großen Weltmächten jedoch um viel Wichtigeres – unter anderem auch um die Zukunft der Gülen-Schulen in Zentralasien.
Diese Schulen, die zum Zweck des Kampfes gegen radikale Islamisten auf der einen Seite, Russland und China auf der anderen Seite gegründet worden waren, brachten in Kaukasien Generationen von Absolventen hervor, die heute in den wichtigsten Denkfabriken der islamischen Welt sitzen.