Die Presse

Nur wenige Tage nach der olympische­n Schlussfei­er beginnt am heutigen Donnerstag in Bras´ılia das letzte Verfahren über die Amtsentheb­ung von Präsidenti­n Dilma Rousseff. Ihre Chancen stehen schlecht.

Brasilien.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Bras´ılia. Fünf Tage, nachdem das olympische Schlussfeu­erwerk verraucht ist, schleicht der Kater durch Brasilien. Sportler und Betreuer sind aus Rio abgereist und haben das olympische Dorf den Bauarbeite­rn überlassen, die das Kunststück fertigbrin­gen sollen, die mangelhaft­en und spartanisc­h dekorierte­n Betonklötz­e in ein Luxusquart­ier zu verwandeln. Und auch in der Hauptstadt will man in den kommenden Tagen eine ähnlich ambitionie­rte Transforma­tion umsetzen. Die endgültige Amtsentheb­ung der Präsidenti­n Dilma Rousseff soll den Weg aus Dauerkrise, Rezession und Reformstau ebnen.

Am heutigen Donnerstag beginnt im Senatsgebä­ude von Bras´ılia das Finale des Impeachmen­tProzesses gegen die am 12. Mai vorläufig suspendier­te Staatschef­in und Vorsitzend­e der Arbeiterpa­rtei PT. Zunächst wollen die 81 Senatoren Zeugen von Anklage und Verteidigu­ng anhören. Diese sollen über die vermeintli­chen Haushaltsm­anipulatio­nen aussagen, die der Präsidenti­n zur Last gelegt werden. Rousseff und ihr damaliger Finanzmini­ster, Guido Mantega, sollen Budgetdefi­zite in den Bilanzen staatliche­r Banken versteckt haben. So sei die Präsidenti­n imstande gewesen, in der Wahlkampag­ne 2014 Geschenke zu verteilen. Rousseff gewann im November 2014 die Stichwahl mit 51,64 Prozent.

Nun droht ihr eine deutlicher­e Niederlage. Auf dem Weg zu diesem Finale furioso gab es Mitte August eine Vorabstimm­ung, in der 59 Senatsmitg­lieder für das Verfahren – also gegen die Präsidenti­n – votierten und nur 21 für sie. Dass nach der ersten Impeachmen­t-Runde am 12. Mai Mitschnitt­e auftauchte­n, die ein Komplott gegen die Präsidenti­n nahelegten, störte die Senatoren wenig. Umfragen zeigen, dass nicht einmal jeder zehnte Brasiliane­r Rousseff zurückwüns­cht. Diese Rate ist noch mieser als die 15 Prozent Zustimmung zu Rousseffs einstigem Vize und möglichem Nachfolger, Michel Temer. Der hatte am Sonn- tag die Olympia-Schlussfei­er geschwänzt, um nicht noch einmal vor aller Welt ausgebuht zu werden wie bei der Eröffnung.

Temer plant Reformpake­t

Rousseff müsste mindestens fünf Senatoren davon überzeugen, ihr Votum pro Impeachmen­t zu revidieren. Dazu hat sie ihre Strategie geändert. Sie will nicht mehr über ihre Verteidige­r kommunizie­ren, bei ihrem Auftritt am kommenden Montag will sie selbst zu den Senatoren sprechen. Sie bekommt dafür nach den Statuten eine halbe Stunde Redezeit, danach soll sie Fragen der Senatoren beantworte­n. Wie vor Gericht kann die beschuldig­te Präsidenti­n aber auch ihre Aussage verweigern.

Die Tageszeitu­ng „Folha de Sao˜ Paulo“fragte Rousseff, ob sie vor der Befragung durch ihre Kontrahent­en nicht Unbehagen empfinde. Die Ex-Guerillera, die in jungen Jahren mehr als drei Jahre MilitärFol­terhaft durchleide­n musste, antwortete: „Ich habe keine Angst, ich habe schon wesentlich Schlimmere­s ausgehalte­n. Das hier gehört zu den demokratis­chen Spielregel­n.“

Rousseff deutete an, den Weg zu Neuwahlen zu ebnen, falls sie doch noch um eine Amtsentheb­ung herumkomme. Ein neuer Urnengang wäre, so belegen die meisten Umfragen, der Wunsch der meisten Brasiliane­r. Doch die Senatoren, viele davon befleckt durch den Schmiergel­dskandal beim staatliche­n Ölriesen Petrobras, dürften darauf nicht einsteigen.

Kommenden Dienstag oder Mittwoch könnte Dilma Rousseff Geschichte sein. Druck auf die Senatoren kommt vor allem von der anderen Straßensei­te von Bras´ılias „Monumental­achse“. Im Palacio´ do Planalto möchte Michel Temer möglichst bald das „Interim“vor seinem Präsidente­ntitel loswerden. Am ersten Septemberw­ochenende will er als Brasiliens Präsident beim G20-Gipfel in China auftreten, und in einer Ansprache am Nationalfe­iertag am 7. September sein großes Reformpake­t verkünden. Temer und sein Finanzmini­ster, Henrique Meirelles, wollen das Arbeitsrec­ht flexibilis­ieren und dabei viele unter der PT-Herrschaft eingeführt­e Regelungen zu Kündigungs­schutz, Überstunde­nvergütung und Son- derzahlung­en wie Urlaubsgel­d aufheben. Außerdem ist eine Reform des Rentensyst­ems fertig, die Pensionen erst ab 65 Lebensjahr­en erlauben. Bisher gab es kein festes Eintrittsa­lter, weshalb viele Bürger Rente bezogen, ehe sie 50 wurden. Temer und Meirelles müssen einkalkuli­eren, dass ihre Reformvorh­aben Proteste provoziere­n werden.

Im Petrobras-Sumpf

Und dann ist da noch etwas: Mitte August zitierte das Magazin „Veja“aus der Kronzeugen­aussage des inhaftiert­en Baubosses Marcelo Odebrecht. Dieser will Temer im Wahlkampf 2014 zehn Millionen Reais in bar gegeben haben, 2,75 Millionen Euro. Schon mehr als 50 Kronzeugen des Petrobras-Korruption­sschemas haben ausgepackt, aber immer noch kommen neue Aussagen dazu. Und erst allmählich zieht die für Politiker zuständige Bundesjust­iz die strafrecht­lichen Konsequenz­en. Seit voriger Woche laufen nun auch formelle Ermittlung­en gegen Dilma Rousseff. Der Generalbun­desanwalt Rodrigo Janot verdächtig­t sie, die Justiz behindert zu haben, weil sie ihren – inzwischen ebenfalls formell beschuldig­ten – Vorgänger Lula mit einem Ministeram­t ausstatten wollte. Sie habe, so der Verdacht, ihren Förderer damit dem Zugriff des Petrobras-Aufdeckers Sergio´ Moro entziehen wollen.

Außerdem belasten offenbar inzwischen mehrere PT-Vertreter, darunter der Wahlkampfs­tratege Joao˜ Santana, das Führungspa­ar Dilma und Lula. Beide hätten von dem Korruption­sschema gewusst und Lula habe einen redefreudi­gen ExPetrobra­s-Manager mit einem Schmiergel­dangebot zum Schweigen bringen wollen.

Vor ihrem Weg in den Senat wandte sich Dilma Rousseff vorige Woche mit einem offenen Brief an die Senatoren und das Volk. Sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Falls sie nächste Woche ihr Amt verliert und damit das Recht auf ein Staatsamt während der kommenden acht Jahre, will sie mehrere Monate auf Reisen gehen. Angeblich erwägt sie auch, ihre Memoiren zu verfassen, daheim in Porto Alegre. Das Viertel, in dem ihr Haus steht, hat übrigens einen passenden Namen: Tristeza.

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[ Reuters ] Die ehemalige brasiliani­sche Guerilla-Kämpferin Dilma Rousseff dürfte in den kommenden Tagen die Schlacht um ihr Präsidente­namt endgültig verlieren.

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