Drogenkriminalität erreicht Höchststand
Polizei. 32.907 Anzeigen im Jahr 2015 – das ist ein Anstieg um 8,8 Prozent. Auch für 2016 geht der Trend nach oben.
Wien. Wer die vergangenen Monate mit offenen Augen durch die Straßen von Österreichs Städten ging, der konnte vielen Kleindealern bei ihrer Arbeit zusehen. Insbesondere in Wien, wo in der ersten Jahreshälfte vor allem Gürtel und Praterstern zu Problemzonen wurden, musste man an manchen Orten fast wegschauen, um das aggressive Anbieten von Drogen nicht zu bemerken. Und diese subjek- tiven Wahrnehmungen haben nun auch eine belastende Datenbasis.
Der neue „Suchtmittelbericht“des Bundeskriminalamts stellt zwar „nur“die Lage des Jahres 2015 dar. Allerdings wurde schon damals die Basis für die Auswüchse des Jahres 2016 gelegt. 32.907 Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz bedeuten nicht nur einen historischen Rekord, sondern entsprechen einem starken Anstieg von 8,8 Prozent vom ohnehin bereits hohen Niveau des Jahres 2014 (30.250) aus. Das erscheint einerseits besorgniserregend, lässt andererseits jedoch nur bedingt Rückschlüsse auf das reale Aus- maß des Phänomens Drogenkriminalität zu. Wenn die Zahl der Anzeigen steigt, bedeutet das zunächst nämlich nur, dass die Polizei mehr in diese Richtung ermittelt. Umgekehrt sind Schwerpunktaktionen der Exekutive, wie sie bereits im Vorjahr begonnen haben, jedoch häufig direkte Reaktionen auf offensichtlich gewordene Missstände, eben zum Beispiel an Hotspots im öffentlichen Raum.
Rückschlüsse von der Zahl der Anzeigen auf den Drogenmarkt zu ziehen ist auch deshalb schwer möglich, weil allein die technischen Möglichkeiten der Polizei automatisch zu einer Unzahl von Anzeigen führen. Wo früher für eine Anzeige ein Verdächtiger über Tage observiert wurde, reicht heute oft die Beschlagnahmung und Auswertung eines Mobiltelefons, um Dutzende Personen eines Strafdelikts zu verdächtigen. Streng genommen bedeuten mehr Anzeigen nur, dass sich die polizeiliche Wahrnehmung der Realität annähert.
Viele Serben unter den Bossen
Deutliche Aussagen lassen sich jedoch über Veränderungen innerhalb des Markts sagen. Der Anteil der Nichtösterreicher unter den Tatverdächtigen ist im Lauf der vergangenen Jahre stark gestiegen (siehe Grafik). Nimmt man Vergehen und Verbrechen (also Taten, die mit mehr als drei Jahren Haft bedroht sind) zusammen, ist jeder dritte Angezeigte Ausländer. In der Sonderauswertung für Verbrechen stammt inzwischen schon fast jeder Zweite (48,9 Prozent) aus dem Ausland. Das bedeutet: Unter den Bossen, Banden und Großhändlern sind Fremde überproportional stark vertreten.
Bemerkenswertes zeigt ein Blick in die Nationenauswertung. Aus ihr wird ersichtlich, dass die öffentlich stark wahrgenommenen Dealer aus Nigeria, Marokko, Algerien und Afghanistan fast immer „nur“wegen Vergehen, also kleinerer Delikte wie Handel in Kleinstmengen angezeigt werden. Die „schweren Jungs“, also Personen, die wegen des Handels mit großen Mengen in der Statistik aufscheinen, stammen zu einem überwältigenden Teil aus Serbien. 227 entsprechende Tatverdächtige aus diesem Land – das sind mehr als alle aus Nigeria, Marokko, Algerien und Afghanistan zusammen (212).
Cannabis als Verkaufsschlager
Der große Bringer auf dem Drogenmarkt sind derzeit Cannabisprodukte in jedweder Form. Die Verkäufer würden dafür sogar mit Traditionen brechen, berichtet Gerhard Stadler, Leiter des Büros für Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt. Wären die Straßendealer aus Nigeria früher vor allem für den Vertrieb von Kokain und Heroin bekannt gewesen, hätten diese ihr Geschäftsmodell inzwischen total umgestellt. Zwei von drei Tatverdächtigen aus Nigeria landen inzwischen wegen des Verkaufs von Cannabis in der Statistik.
Nach den Analysen des Bundeskriminalamts haben die verstärkten Aktivitäten von Dealern und Polizei unmittelbar mit der Migrationsbewegung des Jahres 2015 zu tun. Da diese im Vorjahr in der zweiten Jahreshälfte ihren Höhepunkt erreichte, dürften deren Effekte auf dem Sektor der Drogenkriminalität erst 2016 voll durchschlagen. Zu tun hat das nach Meinung der Experten damit, dass viele Personen nach einem negativen Asylbescheid wegen Geldmangels und Perspektivlosigkeit leicht von Kriminellen anzuwerben sind. Bei diesen Personen beträgt die Dauer zwischen Einreise und erstem Konflikt mit dem Gesetz sieben bis elf Monate. Aktuelle Trendbeobachtungen würden diese Theorie stützen. (awe)