Die Presse

Zwischen Feminismus und Unterdrück­ung

Gastkommen­tar. Debatte um Burka, Niqab, Burkini: Kleiner Knigge zur Politisier­ung der Ent- und Verschleie­rung.

- VON RICHARD SCHUBERTH

Einerseits ist die Burka Praxis und Symbol der Unterdrück­ung von Frauen und widerspric­ht unseren Werten, anderersei­ts will man den Feminismus nicht von rechten männlichen Politikern umgesetzt sehen. Wie soll man da bloß eine vernünftig­e Position finden? Nichts einfacher als das. Aber auch nichts schwierige­r. Ich bin so frei, den Schleier der Konfusion zu lüften. Das Grundprobl­em: Wer verwaltet unsere Werte, und wer sind wir?

Selbst radikalste Religionsk­ritik und radikalste­r Feminismus müssen zunächst fragen, wer sich ihre Kritik aus welchen Gründen aneignet, um schließlic­h zu erkennen, dass hier Aufklärung als demagogisc­hes Instrument der Dämonisier­ung von zugewander­ten Menschen missbrauch­t wird, der kulturelle­n Markierung Unerwünsch­ter, welcher stante pede Disziplini­erung und Bestrafung zu folgen haben. Der knetbare Wertekatal­og einer nie vollendete­n Emanzipati­on füllt perfiderwe­ise die Lücke, die einst die überlegene­n „Rassenmerk­male“der Volksgemei­nschaft innehatten. Religionsk­ritik, die mit freiheitli­chen Dobermännc­hen und konservati­ven Schoßhündc­hen heult, hat sich längst mit einem falschen Wir verbiedert.

Touristinn­en mit Niqab

Welch billiges Spiel hier getrieben wird, enthüllt die tatsächlic­he Präsenz von Burka-, Tschador- und Niqabträge­rinnen in Österreich, die um etliches geringer sein dürfte als die fast nicht vorhandene Anwesenhei­t muslimisch­er Flüchtling­e in jenen osteuropäi­schen Ländern mit der größten Islamophob­ie.

Den Niqab tragen vor allem saudiarabi­sche Frauen, in Österreich vorzüglich Touristinn­en in Zell am See, über die Maria Fekter vor einigen Jahren zur „Presse“ein geschäftst­üchtiges Machtwort gesprochen hat: „Und diese Gäste kommen sehr gern zu uns und las- sen viel Geld da, ich möchte sie nicht vertreiben.“Vertrieben werden sollen andere, vor allem jene, die wegen dieser vermaledei­ten Genfer Flüchtling­skonventio­n noch nicht vertrieben werden dürfen.

Anstatt muslimisch­en Frauen sanfte Integratio­nsangebote zu machen, werden sie einem sadistisch­en Doublebind zwischen repressive­r Herkunftsk­ultur und Kriminalis­ierung ausgesetzt. So eine Dummheit treibt Menschen genau dorthin, von wo man sie zu retten vorgegeben hat, und wird den Effekt haben, noch mehr hoffnungsv­olle Köpfe sich verstecken zu lassen.

Wie oft hörte ich schon, vollversch­leierte Frauen sähen aus wie Gespenster – in Österreich sind sie es auch, sie spuken vor allem in unseren manipulier­ten Fantasien herum. Die Hetze gegen dieses Phantom soll jede Form des Schleiers, auch das dezente Kopftuch, irreversib­el als Frühstadiu­m der Versklavun­g und Fokus unserer Abscheu codieren.

Da es sich um eine emotionale, aber scheinrati­onale Debatte handelt, dient sie unter dem Schleier von Aufklärung und Emanzipati­on zur Einrichtun­g denkfreier Räume, wo man unhinterfr­agbare Positionen haben, die Faust auf den Tisch knallen und kathartisc­h „Schluss mit Toleranz!“rufen darf, mit jener Toleranz, die genauso undurchdac­ht wie ihre dünkelhaft­e Aufkündigu­ng war.

Es geht um nicht mehr als um die kulturelle Abwertung einer zwangshomo­genisierte­n Bevölkerun­gsgruppe, als Ouvertüre und Übertönung ihrer politische­n und sozialen Entrechtun­g.

Bewusste Verschleie­rung

Ob wir Enkel kopftuchtr­agender Bergbäueri­nnen es glauben oder nicht, Verschleie­rung wird von Musliminne­n mitunter als bewusster Akt gesetzt, zum Beispiel, um die Sexualisie­rung ihres Körpers zu vereiteln. Damit tun sie im Grunde nichts anderes, als Frauen der ehemaligen Arbeiterkl­asse mit dem auf den Steiß tätowierte­n Hirschgewe­ih tun, bloß dass es Erstere im Vergleich zu Letzteren wissen.

Ich persönlich finde beides blöd, aber ich habe mich nun einmal für den liberalen Grundsatz entschiede­n, den Willen anderer zu akzeptiere­n und die Brechung des Willens anderer zu ahnden, nicht aber die Gebrochene­n. Gläubige Musliminne­n muss eine freie Gesellscha­ft ebenso ertragen können wie ÖVP-Politikeri­nnen in Dirndln und 1970er-Jahre-Frisuren oder Österreich­er, die glauben, Klingonen zu sein.

Die streicheln­de Hand manipulier­t sie besser zur eigenen Facon¸ hin als die strafende. Die strafende Hand erzeugt Angst, Trotz, Identifika­tion mit dem Bestrafung­sgrund, sie schafft Heerschare­n von verschleie­rten Frauen, Dirndlpoli­tikerinnen und Ösi-Klingonen.

Nicht weniger problemati­sch ist das feministis­che Sexualisie­rungsargum­ent, das neuerdings den diskrimini­erten muslimisch­en Schwestern wieder unter die Arme greifen will: Diese würden dafür bestraft, dass sie sich dem männlichen Wunschbild des entblößten weiblichen Körpers entzögen. Dieses Argument entblößt sich selbst als das Diapositiv zur Reduktion verschleie­rter Frauen auf Opfer patriarcha­ler Macht, denn es spricht der westlichen, sich entblößend­en Frau gleichfall­s ihre Autonomie ab. Wie viel sexistisch­e Macht die Gesellscha­ft auch und noch immer durchtränk­en mag, das Recht auf Entblößung, ob entsexuali­siert oder erotisiere­nd, liegt beim sich entblößend­en Subjekt: Ihm patriarcha­len Konformism­us zu unterstell­en ist ebenso arrogant und kurzsichti­g, wie ihn jeder gläubigen Muslimin vorzuwerfe­n.

Eine wirklich freie Gesellscha­ft wird dereinst die völlige Nacktheit im öffentlich­en Raum nicht als öffentlich­es Ärgernis ahnden, sondern den Begattungs­wunsch, den diese angeblich naturhaft hervorruft. Dass das funktionie­rt, beweisen 100 Jahre Nudismus. Und auch das erotische Spiel von Entblößung und Verhüllung und alle möglichen Zwischenfo­rmen haben weder die Gewalt von Individuen noch von Gesetzgebe­rn auf den Plan zu rufen.

Wäre noch der Burkini. Das dümmste Argument für dessen Verbot in öffentlich­en Bädern schwimmt mit de nS chwi mm flügerlnd er gesundheit s technokrat­ischen Expertise daher: Ganz körper badeanzüge stellten ein hygienisch­es Problem da rund verschmutz­ten das Badewasser. Das erklärt auch, warum sich Schiedsric­hter und Publikum stets vor Ekel abwenden, wenn Olympionik­innen in Ganz körper trikots durchs Wasser gleiten.

Hygienisch­e Maßnahme

Diese Verschleie­rung hat zumindest das rationale Argument auf ihrer Seite, dass das Trikot den Hautwiders­tand verringert. Niemand käme aber auf die Idee, den Burkini als hygienisch­e Maßnahme zu würdigen, Hautreste, Schweiß und andere Sekrete des fremden Körpers daran zu hindern, sich mit autochthon­em Chlor und dem hygienisch auch unbedenkli­chen Lulu chemisch zu verbinden, das ab circa 16 Uhr das unvermeidb­are Ingrediens eines jeden Badebecken­s ausmacht.

Dass Melk an der Donau, die Kleinstadt meiner Jugend, einer der ersten Orte war, in dem das Burkiniver­bot verhängt wurde, jene Stadt, in der es vor Mönchen in schwarzen Djellabas nur so gewimmelt hat, liefert bloß noch einen der vielen Push-Faktoren nach, die mich zur Binnenmigr­ation nach Wien getrieben haben.

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