Die EU wusste, dass die Flüchtlinge kommen
„Als Mitteleuropa die Kontrolle verlor“, LA von Rainer Nowak, 20. 8. Nowaks Darstellung beschreibt zwar gut eine Reihe enormer Missstände auf der Höhe der europäischen Flüchtlingskrise des Jahres 2015. Sein Resümee, dass „Mitteleuropa die Kontrolle am 4. September 2015 verlor“, wird dieser Tragödie aber nicht gerecht.
Das Unglück begann als Folge der Golfkriege in den 1990er-Jahren; sie wurden mit Wissen und teilweise mit Zustimmung der Europäer geführt. Die Auswirkungen waren uns allen bekannt. Es war in Europa jedem Beobachter klar, dass die Nachkriegsordnung am Golf und im Nahen Osten immer weiter ins Chaos führte. In diese Jahre fällt auch der Be-
ginn der folgenschweren Radikalisierung des Islam, die zu einem großen Teil von Saudiarabien ausging und ebenso unter den Augen der Welt stattfand. Saudiarabiens enge Verbindung mit Europa und den USA – bedarf es noch weiterer Erläuterung? Öl, Waffensysteme zu See und Land wie Leopard II, heutige Unterstützung im Krieg gegen Jemen – noch mehr notwendig?
Europa war zumindest naiver Zuschauer, wenn nicht geschäftstüchtiger Mitverursacher dieses entsetzlichen Flüchtlingsdramas. Dass es uns nicht schmeckt, Teil des Problems zu sein, wen wundert es? Aber deshalb die Story selbstgerecht zu verbrämen ist unredlich und wird dem menschlichen Leid, das auch durch das selbstgefällige Nichtstun Europas angerichtet wurde, keinesfalls gerecht.
Und Nowaks „Schicksalsjahr 2015“: Nicht nur die UN haben die ganze Welt schon lang vor dem 4. September 2015 gewarnt, dass ein Absenken der Hilfe in den Flüchtlingslagern im Nahen Osten eine Massenwanderung auslösen muss, da es für die Menschen um Leben oder Verhungern ging. Die EU und die Welt wussten, dass die Flüchtlinge kommen. Europa hat am 4. September 2015 nicht die Kontrolle verloren. Es war vielmehr einer der ersten Momente, in dem es für uns Durchschnittsbürger klar wurde, dass es hier auch um die Übernahme von Verantwortung geht. Franz Otto Maurer, 1010 Wien