Tage, an denen wir wieder von Neuem zu lesen anfangen – 8. Teil
Über Blaise Pascal, den Meister der französischen Prosa, von dem Friedrich Nietzsche sagte, dass „ich ihn beinahe liebe, weil er mich unendlich belehrt hat“.
Es gibt viele Wörter, die man nicht eins zu eins von einer Sprache in die andere übersetzen kann. So die englischen Begriffe „serendipity“oder „awkward“. „Sprachgefühl“, „Gemüt“, „Weltschmerz“sind dem Deutschen eigene Wörter, für die sich nur schwer entsprechende Ausdrücke in anderen Sprachen finden lassen. Nicht umsonst bedienen wir uns der Fremdwörter: Im Englischen wird dezidiert von der „German Angst“gesprochen. Wir verwenden „Fairness“bereits so, als ob es ein Lehnwort wäre.
Dass damit dem Missbrauch und der Verschleierung Tür und Tor geöffnet werden, sei nur nebenbei erwähnt: Man redet unentwegt von „Compliance“, wiewohl man vergessen hat, was Anstand bedeutet. Dass man im Wirtschaftsleben und im Wissenschaftszirkus mit englischen Termini technici gekonnt bei Laien heillose Verwirrung und falsche Ehrfurcht erzeugt, dürfte kein Zufall sein – es ist die billigste Methode, sich des Kaisers neue Kleider anzulegen.
Vor allem die französische Sprache kennt Begriffe, die sich nur mühsam ins Deutsche übersetzen lassen. So zum Beispiel die Wörter „esprit“oder „finesse“. Demzufolge bleibt uns nichts anderes erspart, als auch sie buchstäblich als Fremdwörter ins Deutsche einzubürgern. Denn Esprit ist weder Geist noch Witz, und Finesse ist ein wenig anders zu verstehen als Feingefühl.
Ganz schwierig ist es folglich zu verstehen, was Blaise Pascal, Frankreichs größtes Genie und einer der bedeutendsten Denker des an ihnen wahrlich nicht armen 17. Jahrhunderts, meinte, als er vom „esprit de finesse“schrieb. Pascal stellt ihn dem „esprit de geometrie“,´ dem mathematischen Denken, gegenüber. Worum es sich bei diesem handelt, ist allgemein bekannt. Jenen aber erforscht Pascal in seinen Aufzeichnungen, die er „Pensees“,´ „Gedanken“, nennt.
Die „Pensees“´ Pascals sind eine wahre Fundgrube. Manche seiner Gedanken sind dunkel und zeugen von einer bedrückenden Askese, der sich dieser große, von psychischen wie physischem Leid ge- plagte Mystiker unterwarf und die wahrlich nicht jedermanns Sache ist oder sein soll. Es mögen diese düsteren Ansichten Pascals sein, die Goethe zu dem harschen Urteil verleiteten: „Wir müssen es einmal sagen: Voltaire, Hume, La Mettrie, Helve-´ tius, Rousseau und ihre ganze Schule haben der Moralität und der Religion lange nicht so viel geschadet als der strenge, kranke Pascal.“
Der Geheimrat mag dabei übersehen haben, dass die Wahrheit im Sinn des „esprit de finesse“mit der Wahrheit im Sinn des „esprit de geo-´ metrie“, die sich auf nachprüfbare Korrektheit verkürzt, nichts gemein hat. Jene Wahrheit ist von anderer, von höherer Art. Für Urteile des „esprit de finesse“passen die Attribute richtig oder falsch nicht, für sie gelten vielmehr die Zuschreibungen stimmig oder fremd. Und in der Tat: Fremd mögen einige von Pascals Gedanken anmuten.
Aber andere sind so stimmig, ja so treffend, dass es sich lohnt, sie immer wieder zu lesen, über sie nachzudenken, sie sogar auswendig zu lernen. So sollten zum Beispiel die politisch Korrekten, die Vorkämpfer für das vermeintlich Gute bedenken: „Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass, wer einen Engel aus ihm machen will, eine Bestie aus ihm macht.“
Oder den Historikern, die im Sinn von Hegel oder Marx an ein erkennbares Voranschreiten der Geschichte glauben, schreibt er ins Stammbuch: „Die Nase der Kleopatra: Wäre sie kürzer gewesen, das ganze Antlitz der Erde hätte sich verwandelt.“Und den Philosophen stiehlt er mit folgendem Aphorismus den Ernst ihrer Profession: „Sich über die Philosophie lustig machen, das heißt in Wahrheit philosophieren.“
Am treffendsten ist sein Urteil über die Mathematiker, die den „esprit des finesse“nicht kennen: „Sie denken nur dann richtig, wenn es um sehr klare Prinzipien geht, sonst sind sie beschränkt und unerträglich.“