Die Presse

Die drei Ziele der Türkei in Syrien

Analyse. Die Türkei will mit ihrer Militärint­ervention den IS schwächen, ein Mitsprache­recht in Syrien erwerben – und einen Kurdenstaa­t im Keim ersticken. Aber ist Ankara auf Vergeltung­sschläge vorbereite­t?

- VON SUSANNE GÜSTEN

Türkische Panzer rollten auch am Donnerstag weiter über die Grenze. Unter ihrem Schutz rückten Rebellen der Freien Syrischen Armee in der Grenzstadt Jarablus ein, um sie den Jihadisten des Islamische­n Staats (IS) zu entreißen.

Die Militärint­ervention in Syrien markiert eine neue Phase im sechsten Jahr des Bürgerkrie­gs, eine möglicherw­eise gefährlich­e. Denn die türkische Aktion richtet sich nicht nur gegen den IS, sondern vor allem auch gegen die Kurden. Sie werden, wie schon so oft, von den Mühlen der Geopolitik zermahlen.

Schon lang beklagt die Türkei die Unterstütz­ung Amerikas für die Kurdengrup­pe PYD in Syrien, einen wichtigen Verbündete­n im Kampf gegen den IS. Die Türkei betrachtet die PYD als Terrororga­nisation, als Ableger der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) und setzt alles daran, die Ausbreitun­g des kurdischen Machtberei­chs in Nordsyrien zu verhindern.

Der türkische Premier, Binali Yildirim, sprach offen aus, dass die Interventi­on in Syrien den Vormarsch der PYD stoppen soll: Der Einmarsch habe bestätigt, dass die PYD westlich vom Euphrat nichts zu suchen habe, sagte er. Öffentlich­e Rückendeck­ung erhielt er dabei von US-Vizepräsid­ent Joe Biden.

Der Doppelschl­ag Ankaras gegen den IS und gegen die Kurden könnte die Sicherheit­slage in der Türkei weiter verschärfe­n. Der türkische Journalist Rusen Cakir, einer der Erfahrenst­en seines Metiers, rechnet mit Vergeltung­sanschläge­n des IS in der Türkei nach dem Verlust von Jarablus. Auch militante Kurden könnten verstärkt zuschlagen: PYDChef Salih Muslim drohte, „die Türkei wird wie der IS im syrischen Sumpf versinken“.

Keil im Herrschaft­sgebiet der Kurden

Die türkische Interventi­on treibt in Syrien einen Keil in einen etwa 90 Kilometer breiten Korridor zwischen zwei Herrschaft­sgebieten der PYD. Vor einigen Wochen hatten die Kurdenkämp­fer die Erlaubnis erhalten, den Euphrat in Richtung Westen zu überqueren, um bei der Vertreibun­g des IS aus der Stadt Manbij zu helfen. Die Kurden machten jedoch kein Hehl aus ihrer Absicht, nach der gewonnenen Schlacht gegen den IS in der Region zu bleiben – das war ein wichtiger Grund für die türkische Interventi­on. Inzwischen meldet das US-Militär, die Kurdenkämp­fer hätten sich über den Euphrat wieder nach Osten zurückgezo­gen. Einige Beobachter erwarten, dass die Türken trotzdem auf längere Zeit in Syrien bleiben werden, um die seit Langem geforderte „Schutzzone“im Norden Syriens einzuricht­en – genau zwischen den beiden PYD-Gebieten. Auch der Istanbuler Politologe Mensur Akgün geht von einer auf längere Zeit angelegten Präsenz der Türkei in Syrien aus. Ankara wolle einen Fuß in der Tür haben, um bei Verhandlun­gen über die Zukunft Syriens ein starkes Mitsprache­recht zu haben.

Neue Runde im Machtspiel um Syrien

Aus Sicht der USA könnte ein stärkeres Engagement der Türkei in Syrien durchaus Vorteile haben, wenn es sich gegen den IS wendet. Wenn Ankara aber den Konflikt mit den syrischen Kurden sucht, wird es schwierig. Russland und der Iran, die Schutzherr­en des syrischen Staatschef­s, Bashar al-Assad, könnten eine türkische Dauerpräse­nz als Angriff auf ihre Interessen sehen. Einige Erdogan-˘ Anhänger fordern schon, die türkischen Truppen sollten jetzt auch die nordsyrisc­he Wirtschaft­smetropole Aleppo und anschließe­nd die Hauptstadt Damaskus einnehmen.

Gleichzeit­ig wird ein weiteres Problem zwischen den ausländisc­hen Mächten deutlich, die in Syrien mitmischen: Sie wollen zwar alle den IS besiegen, sind aber grundversc­hiedener Ansicht darüber, wer jene Gebiete kontrollie­ren soll, aus denen der IS zurückgedr­ängt wird. Eine dauerhafte türkische Präsenz ist für Russland indiskutab­el. Ein Einzug syrischer Regierungs­truppen in die IS-Gegenden kommt aus westlicher Sicht nicht infrage. Die Freie Syrische Armee, einst als prowestlic­he Rebellengr­uppe gepriesen, ist viel zu schwach. Ein Erstarken der PYD will Ankara verhindern. Doch die von der Türkei unterstütz­ten Rebellengr­uppen wie die Miliz Ahrar al-Sham sind radikale Islamisten. Wer setzt sich durch? Das Machtspiel um Syrien geht in eine neue Runde.

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