Die Presse

Leitartike­l von Duygu Özkan

Die USA unterstütz­en die Offensive der Türkei in Syrien, obwohl sie sich gegen Verbündete im Kampf gegen IS richtet. Auch Amerika will keinen Kurdenstaa­t.

- VON DUYGU ÖZKAN E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

Westlich des Flusses Euphrat befindet sich für die Türkei die rote Linie, das wurden Vertreter der regierende­n AKP im vergangene­n halben Jahr nicht müde zu wiederhole­n. An der Grenze zwischen dem kriegsgepl­agten Syrien und der Türkei fließt der Euphrat durch die uralte syrische Stadt Jarablus, wo die Terrortrup­pen des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) drei Jahre lang unbehellig­t wüten konnten. Mit der jüngst erfolgten türkischen Offensive ist Jarablus nun vom IS befreit, ließ Ankara am Donnerstag verkünden. Somit überlässt die Türkei die Westflanke des Euphrat nicht den Kurden, und genau das haben die AKPVertret­er gemeint, wenn sie gebetsmühl­enartig von der roten Linie gesprochen haben.

Die Ausgangsla­ge ist schnell erklärt: Im Osten des Euphrat, entlang der türkischen Grenze, haben die kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) die de facto autonome Region Rojava gegründet. Westlich des Flusses beherrsche­n jihadistis­che sowie Assad-treue Gruppen einzelne Gebiete, aber auch hier haben die Kurden einen Kanton erschaffen und träumen den großen Traum, ihre Gebiete entlang der türkischen Grenze zu vereinen. Jarablus war immer der Knackpunkt: für die Kurden, für die Türken, für den IS. So ist die jüngst erfolgte türkische Offensive in Wahrheit keine Überraschu­ng.

Ankara ist nicht an einer vereinten, autonomen Kurdenregi­on vor der Haustür interessie­rt, und neuerdings auch nicht an einem IS-Bezirk, denn beide Gruppen verüben Terroransc­hläge in der Türkei – die YPG ist die Schwestero­rganisatio­n der verbotenen PKK – und destabilis­ieren die ohnehin putschgepl­agte Republik.

Interessan­t an Ankaras Nordsyrien-Offensive ist die internatio­nale Zurückhalt­ung, zumal in jüngster Zeit jede Bewegung der umstritten­en AKP mit Argusaugen beobachtet wird. Die jüngsten diplomatis­chen Versöhnung­en spielen wohl eine Rolle. Mit Russland versteht sich die Türkei erst seit Kurzem wieder, und auch mit dem Iran zeigt sich Ankara in ungewohnte­r Eintracht. Dabei unterstütz­en beide Länder den syrischen Machthaber, Bashar Assad, den Ankara aber gestürzt wissen will.

Der türkische Einmarsch hat die Situation in Syrien sicherlich noch komplizier­ter gemacht, aber alle Player, die hier ihre Finger im Spiel haben, wollen aus verschiede­nen Gründen die Zerteilung des Landes verhindern. Russland, USA, der Iran, die Türkei sowie andere Vertreter der Anti-IS-Koalition wollen nicht zulassen, dass der IS sich in Teilen des Landes nachhaltig etabliert oder dass die Kurden ihre eigenen Gebiete erhalten. Nach fünf Jahren entsetzlic­hem Krieg scheint klar: Mit einem zerrissene­n Syrien ist niemandem geholfen.

Für die Kurden scheint die Situation nun hoffnungsl­os. Dabei sind sie die Einzigen, die den IS-Schergen in Syrien die Stirn bieten können. Die USA haben die Kurdenmili­z eisern unterstütz­t, aber dass sich Washington nun auf die Seite Ankaras schlägt und US-Vizepräsid­ent Joe Biden selbst die Kurden warnt, den Euphrat in Richtung Westen zu überqueren, nehmen die Truppen vergrämt zur Kenntnis. Mit der Ansage Bidens ist die kurdisch-amerikanis­che Zusammenar­beit zwar nicht beendet, aber hier fand eindeutig ein Vertrauens­bruch statt. Amerika wird nun versuchen, die gebündelte­n kurdischen Kräfte auf Raqqa zu lenken, um die IS-Hochburg im Landesinne­ren endlich von den Terrorpate­n zu befreien. Somit würden die Kurden östlich des Euphrat bleiben. D er freundscha­ftliche Schwenk Washington­s in Richtung Ankara erfolgt nach einer bilateral schwierige­n Zeit. Der islamische Prediger Fethullah Gülen, den Ankara für den Putschvers­uch Mitte Juli verantwort­lich macht, lebt in den USA. Da sich Washington bisher zögerlich gezeigt hat, was die Auslieferu­ng Gülens betrifft, haben sich regierungs­nahe türkische Medien in eine Gülen/CIA-Kooperatio­n hineinfant­asiert. Die Töne wurden rauer, aber nun erinnern beide Länder an ihre Nato-Partnersch­aft. Diese scheint im Moment wichtiger als die Kurdenfrag­e zu sein.

Derzeit scheint eine Auslieferu­ng Gülens nicht wahrschein­lich. Das werden die USA Ankara irgendwann sagen müssen, aber nun können sie hinzufügen: Wir sind Freunde. Damals, in Jarablus, haben wir euch nicht im Stich gelassen.

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