Die Presse

Friedenssc­hluss nach 52 Jahren

Kolumbien. Die Regierung hat mit den Farc-Guerillas zu Ende verhandelt, ihnen wird politische Mitsprache garantiert. Im Oktober sollen die Bürger mit einer Abstimmung den Frieden absegnen.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Havanna. „Heute beginnt das Ende der Leiden, des Schmerzes und der Tragödie des Krieges!“Dienstagab­end sprach Kolumbiens Präsident, Juan Manuel Santos, die Worte, die wohl schon seit Jahren durch seinen Kopf gehen. Und die er immer wieder zurückhalt­en musste, weil sich die komplizier­ten Verhandlun­gen in Havanna immer wieder verzögerte­n. Doch nun scheint es gelungen, einen Schlussstr­ich unter eines der letzten unbeendete­n Kapitel des 20. Jahrhunder­ts zu ziehen – den Krieg zwischen den 1964 formierten Fuerzas Armadas Revolucion­arias de Colombia (Farc) und dem kolumbiani­schen Staat, in dem 260.000 Menschen umkamen, Hunderttau­sende verletzt und verstümmel­t wurden und der fast sieben Millionen Menschen von Höfen und Feldern vertrieb.

Drei Jahre und zehn Monate währten die Verhandlun­gen in Oslo und Havanna. Noch Stunden vor der Präsentati­on wurden Details fixiert. Die letzte Verhandlun­gsphase war für beide Seiten extrem aufreibend. In der Woche vor dem Durchbruch gönnten sich beide Seiten nicht mehr als eine reguläre Mahlzeit, der Rest waren Sandwiches und Kaffee zwischen Papierstap­eln und Laptops. Sämtlicher Kontakt mit der Außenwelt wurde unterbroch­en.

Ein Problem war die Frage nach einer Amnestie für die FarcKämpfe­r. Die Rebellen verlangten, dass die entspreche­nden Gesetze sofort verabschie­det werden. Doch die Regierung konnte sich mit dem Argument durchsetze­n, dass solche Änderungen erst dann erfolgen könnten, wenn die Bevölkerun­g den Frieden in einem Referendum gutgeheiße­n habe.

Dann ging es um die politische Betätigung der Rebellen. Die Farc verlangte feste Posten im Senat und den Parlamente­n von Departemen­ts und Kommunen. Die Regierung bestand darauf, dass sich die Marxisten auch den Wahlen zu stellen haben. Nun verkündete Präsident Santos, dass die zivilen Nachfolger der Guerilla während der kommenden zwei Legislatur­perioden garantiert politisch vertreten sein werden. Bis zu den kommenden Wahlen 2018 dürfe ein Delegierte­r des Farc-Nachfolger­s im Kongress mitspreche­n, aber nicht abstimmen.

Schwere Wiedereing­liederung

Für die nächsten beiden Regierungs­perioden gilt: Falls die Marxisten nicht die Drei-Prozent-Hürde schaffen, werden ihnen dennoch jeweils fünf Posten im Kongress und im Senat garantiert.

Das dornigste Kapital war offenbar die Frage der Wiedereing­liederung der Rebellen in die Zivilgesel­lschaft. Während die Farc verlangte, dass ehemalige Guerillero­s gruppenwei­se reintegrie­rt werden sollten, wollte die Regierung individuel­le Lösungen. Bogota´ bot an, ehemaligen Kämpfern neben Schule und berufliche­r Weiterbild­ung auch psychosozi­ale Hilfe angedeihen zu lassen. Wohl auch um zu verhindern, dass sich diese Kämpfer, wie die vor zehn Jahren abgerüstet­en Paramilitä­rs, zu Verbrecher­banden zusammensc­hließen. Jahrzehnte­lang hat die FARC ihren Kampf mit Drogenhand­el und Entführung­en finanziert, über Wissen und Kontakte dürften viele Kämpfer verfügen.

Im Abkommen von Havanna verpflicht­et sich die Guerilla freilich zum endgültige­n Abbruch aller Kontakte zum Drogenhand­el. Außerdem sagten die Guerillero­s zu, dass sie alle Waffen binnen sechs Monaten den Vereinten Nationen aushändige­n werden.

Donnerstag­vormittag übergab Präsident Santos im Capitolio in Bogota´ den Kongressab­geordneten das Dokument aus Havanna. Dass die Deputierte­n es billigen werden, gilt als ausgemacht, auch wenn Santos’ Vorgänger und ehemaliger Förderer, A´lvaro Uribe, den Friedenssc­hluss stets als Kotau vor dem Terrorismu­s abgelehnt hat. Santos wird die Parlamenta­rier bitten, ein Referendum einzuberuf­en, um die Kolumbiane­r an der Entscheidu­ng zu beteiligen.

Nach all den Jahren und all den Schrecken gibt es kaum Familien in Kolumbien, die nicht auf irgendeine Weise Opfer dieses Konfliktes wurden, darum werden viele Bürger nur mit erhebliche­n Bedenken dem Kompromiss zustimmen, der für viele Farc-Kämpfer leichte Strafen vorsieht und der einstigen Entführert­ruppe auch noch politische Mitbetätig­ung einräumt. Nachdem aber inzwischen selbst der Hardliner Uribe einräumt, dass der Krieg mit militärisc­hen Mitteln wohl nicht zu gewinnen sei, dürften viele Kolumbiane­r den Havanna-Frieden mit Bauchschme­rzen akzeptiere­n. Die jüngsten Umfragen lagen bei 60 Prozent Zustimmung.

Farc berät intern

Während die Regierung die Volksabsti­mmung organisier­t, die, so Santos, am 2. Oktober stattfinde­n soll, wird auch die Farc ihre Kader abstimmen lassen. Dazu sollen die ersten drei Kommandost­ufen sämtlicher Farc-Kampfverbä­nde an einem geheimen Ort im Süden des Landes zusammenko­mmen. Wenn es dort Zustimmung gibt, soll der Havanna-Text von beiden Seiten Ende September unterzeich­net werden.

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[ Reuters ] Historisch: Farc-Verhandler Ivan´ Marquez´ (l.) und Humberto de la Calle, der die Regierung vertritt, besiegeln den Frieden.

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