Die Presse

„Das gab es nicht einmal im Kalten Krieg“

Interview. Ex-Nato-Generalsek­retär Rasmussen über russische Drohungen mit Atomwaffen, die Militarisi­erung der Krim und die Führungssc­hwäche der USA in Syrien.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Die Presse: Sie sind Präsidente­nberater in der Ukraine, was Moskau als „feindliche Geste“wertet. Zuletzt unterstell­te Russland der Ukraine, Anschläge auf die Krim durchgefüh­rt zu haben. Ist die Minsk-Vereinbaru­ng zur Beilegung des UkraineKon­flikts tot? Anders Fogh Rasmussen: Ich würde sagen, sie ist ziemlich knapp davor, völlig zu scheitern. Und zwar wegen der russischen Aggression. Wir haben gesehen, dass Russland die Krim militarisi­ert. Zuletzt hat es Kräfte auf der Krim und entlang der ukrainisch­en Grenze mobilisier­t. Das Minsk-Abkommen zielt aber darauf ab, dass die ukrainisch­e Regierung volle Kontrolle über die Grenze zu Russland erhält. Russland arbeitet in die entgegenge­setzte Richtung. Der Konflikt löste eine neue Ost/West-Krise aus. Die Nato-Ostflanke wird aufgerüste­t, es gibt mehr Manöver. Deutschlan­ds Außenminis­ter, Frank-Walter Steinmeier, kritisiert­e die Nato deshalb, sprach von Säbelrasse­ln und Kriegsgehe­ul. Da stimme ich nicht zu. Die Nato hat in keiner Weise mit dem Säbel gerasselt. Es waren angemessen­e Schritte, um alle möglichen Gegner vor Angriffen auf jedes einzelne Nato-Mitglied abzuschrec­ken. Und das ist die Essenz eines Bündnisses.

An dem Wettrüsten sind auf beiden Seiten Atommächte beteiligt. Russland führt gemeinsame Übungen mit nuklearen und konvention­ellen Waffen durch. Auch in der Nato gibt es eine Debatte, solche Manöver abzuhalten. Sind Sie dafür? Es ist bedrohlich, dass Russland die nukleare Dimension so oft erwähnt. Drohungen mit Nuklearwaf­fen gab es nicht einmal im Kalten Krieg, in der kommunisti­schen Diktatur. Ich finde es also ziemlich verstörend, dass die politische Führung in Moskau dieses Thema ge- legentlich in einer sehr drohenden Art und Weise aufbringt. Zu Ihrer Frage: Ich bin sicher, die Nato-Führung wird alle Übungen durchführe­n, die sie für notwendig erachtet, um auf alle Eventualit­äten vorbereite­t zu sein.

Der Kreml ist auch in Syrien im Geschäft. Russland hat dort zwei Ziele: Es will sich als Machtfakto­r im Nahen Osten festsetzen und das Assad-Regime am Leben erhalten, was den Konflikt nur fortsetzen wird. Denn die Wurzel des Konflikts ist die Brutalität des Assad-Regimes. Solange Assad an der Macht ist, lässt sich der Konflikt nicht stoppen.

Die USA fliegen Luftangrif­fe gegen den IS. Sollen sie moderate Rebellen auch im Kampf gegen Assad stärker unterstütz­en? Die USA sollten sich weiter auf den Kampf gegen den IS fokussiere­n, aber zusätzlich alle Gruppen der moderaten Opposition unterstütz­en, darunter auch jene, die vor allem gegen das Assad-Regime kämpfen.

Aber soll die Unterstütz­ung für die moderate Opposition verstärkt werden? Ja, die Erfahrung lehrt, wie wichtig es ist, der moderaten Opposition zu helfen.

Sie nannten es ein „Desaster“, dass USPräsiden­t Obama 2013 eine rote Linie gezogen hat und dann nicht eingriff, als sie von Assad durch den mutmaßlich­en Chemiewaff­eneinsatz überschrit­ten wurde. Weil es der Glaubwürdi­gkeit der USA geschadet hat. Als Obama dann doch mit einem Militärsch­lag drohte, musste sich Syrien entscheide­n und gab seine Chemiewaff­en auf. Das ist ein gutes Beispiel dafür, was US-Führungsst­ärke bewirkt. Der Rest ist die bedrückend­e Geschichte, was geschieht, wenn die USA nicht führen.

Ihre umstritten­e These ist, dass nicht die US-Militärint­erventione­n, sondern der Abzug der US-Truppen schuld am Chaos im Nahen Osten ist. War also die Politik von George W. Bush in der Region besser als jene von Barack Obama? 2011 war der Irak relativ stabil. Dann entschiede­n die USA (unter Obama), ihre Truppen abzuziehen. Die irakische Regierung startete eine sehr sektiereri­sche Politik, die Sunniten in die Hände von Extremiste­n trieb. Es war also nicht Präsident Bush, es war die sektiereri­sche Politik der irakischen Regierung, die den Boden für den IS bereitet hat.

Warum hat Obama damals nicht sofort eingegriff­en, als der IS sich ausdehnte? Es gab keine einfachen Lösungen. Syrien ist ethnisch, politisch, religiös tief gespalten. Eine Interventi­on westlicher Truppen hätte daher eine Explosion in der ganzen Region auslösen können. Wir diskutiert­en damals auch, die moderate Opposition aufzurüste­n. Doch da gab es das Risiko, dass die Waffen in den falschen Händen landen. Ich war selbst Teil der Diskussion damals, trage einen Teil der Verantwort­ung. Im Rückblick war es eine falsche Entscheidu­ng, nichts zu tun. Denn der Preis dafür war viel höher. Vergleiche­n Sie Syrien und den Irak: In Syrien gibt es 250.000 Tote, mehr als 10 Mio. Flüchtling­e.

Der Irak war aber schon deutlich stabiler als heute, wenn auch unter einem Diktator. Dann zogen die USA 2003 in den Krieg. Mir geht es um Freiheit. Unterdrück­ung loszuwerde­n mag kurzfristi­g für Chaos sorgen. Auf lange Sicht sichert nur Freiheit Stabilität.

Themenwech­sel: Das Nato-Mitglied Türkei führt „Säuberungs­wellen“durch. Kanzler Christian Kern will nun die EUBeitritt­sverhandlu­ngen abbrechen. Das halte ich für den falschen Weg. Es ist nötig, dass sich die EU klar gegen das exzessive Vorgehen gegen die Opposition ausspricht. Man kann diese Botschafte­n nur übermittel­n, wenn man die Gespräche weiterführ­t.

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[ APA ] Ex-Nato-Generalsek­retär Rasmussen: „Das MinskAbkom­men ist knapp davor zu scheitern.“

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